17.06.2021 · Aktuelles / Bayern / Hessen / Rheinland-Pfalz / Sachsen / Schleswig-Holstein / Thüringen

Mit Verschiedenheit umgehen

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Während auf der großen Gala am 9. Juni die Kita des Jahres 2021 gekürt wurde, schauten vier unserer Standorte in der letzten Woche ganz bewusst in Richtung einer anderen Altersgruppe, der 14- bis 17-Jährigen. Trier, Frankfurt, Dresden und Kiel organisierten im Rahmen von rangezoomt. Jugendliche Lebenswelten Online-Gesprächs- bzw. Workshoprunden und fragten: Wie geht es den Jugendlichen in unserem Land? Was brauchen sie jetzt, um sich an Bildungsorten gehört und wohl zu fühlen? Welche Rolle spielt dabei Partizipation? Und was heißt hier eigentlich „die Jugendlichen“? Hilft das Lebensweltmodell der SINUS-Jugendstudie, um den Bedürfnissen der Heranwachsenden gerecht zu werden oder sie überhaupt zu erreichen?

Jugendliche nicht in Defizitschubladen stecken

Jugendliche würden unterschätzt und in der Schule oft in ein Raster eingeteilt, das defizitorientiert funktioniere, meinte Leonie, Schülerin der Lübecker Heinrich-Mann-Grund- und Gemeinschaftsschule. Sie diskutierte zusammen mit Keivan und Lorenzo vom Jugendrat des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein und Josephine aus Dänischenhagen auf dem Online-Podium der Kieler rangezoomt-Veranstaltung am 10. Juni. Anne Rolvering, die neue Frau an der Spitze der DKJS, freut sich, dass sie gerade hier dabei sein konnte. „Ich bin total froh über diese Runde. In der letzten Zeit wurde besonders viel über Jugendliche geredet und viel zu wenig mit ihnen.“ Keivan wünscht sich, dass die Politik mehr Routine und Selbstverständlichkeit entwickelte, für bestimmte Entscheidungen auf diejenigen zuzugehen, die es betreffe, eben Kinder und Jugendliche. Die Schule als Lernort könne das Interesse an Mitgestaltung wecken. „Aber nicht jeder gehört in eine Kartoffel - wir sind einfach sehr vielfältig in unserem Sein“, meint der Sechzehnjährige und bezieht sich dabei natürlich auf einen Spitznamen des Lebensweltmodells der SINUS-Jugendstudie.

Übrigens – seit 16 Jahren ist die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung in Schleswig-Holstein aktiv. Herzlichen Glückwunsch an die Kolleg:innen in Kiel und ihre Leitung Maja Hornberger, die von Beginn an mit dabei war. 

Auch die Jugendlichen sind Helden dieser Zeit

Zwei Tage vorher, am 8. Juni, hatte das Frankfurter DKJS-Team eingeladen: Anne Rolvering diskutierte hier mit Gregor Gallner, Bezirksjugendsekretär der DGB-Jugend Hessen-Thüringen, Michael Okrob von der START-Stiftung und der Psychologin Sybille Borgmann. Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin findet, dass der aktuelle Diskurs vor allem Hoffnungslosigkeit vermittele, dabei fallen die Stärken, die junge Menschen gerade in der Pandemie gezeigt haben, wie Selbstlernkompetenz und Frustrationstoleranz, unter den Tisch. „Jugendliche wissen, was sie brauchen! Wir müssen sie nur fragen! Es liegt an uns!“ betonte auch Michael Okrob, während Gregor Gallner noch einmal auf die Azubis hinwies, die sich und ihre Lage kaum in der öffentlichen Debatte wiedergefunden hätten.

Ticken Jugendliche überhaupt noch?

Beim Workshop am 7. in Rheinland-Pfalz drehten sich die Arbeitsgruppen vor allem um die Frage, wie es nach der langen Zwangspause mit der Jugendarbeit weitergeht und wie man Jugendliche wieder erreichen kann. Volker Steinberg vom Landesjugendring RLP glaubt, dass dies gelingt, wo es personelle Strukturen gibt. Fraglich ist, ob Gruppen, bei denen alles ehrenamtlich läuft, wieder „aufwachen“. Auch Nils Wiechmann vom Landesamt Soziales, Jugend und Versorgung meint: „Jugendarbeit lebt vom persönlichen Kontakt und von persönlichen Beziehungen.“ Er hofft deshalb besonders auf die nächsten Monate. Sabrina Kleinhenz weiß aus ihrer Arbeit im Jugendparlament und dem Dachverband der Jugendvertretungen in RLP, wie schwer es ist, junge Menschen unterschiedlicher Lebenswelten breit zu erreichen und in die festen Vertretungsstrukturen einzubinden. Nach Corona brauche es für sie nicht nur Nachhilfeangebote, sondern Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung, bei der Bewältigung von Angst und Unsicherheit und offene Jugendformate.

Projekte sollten nicht für, sondern mit Jugendlichen umgesetzt werden.

Ein vierter rangezoomt-Termin fand am 9. Juni in Sachsen statt. In Arbeitsgruppen zu den Themen Lebenswelten, Partizipation, Schule & Wellbeing und Freizeit nutzten die Teilnehmenden die Ergebnisse der SINUS-Studie, um sich zu ihren Erfahrungen aus der sächsischen Praxis auszutauschen.

Berichtet wurde von Ambivalenzen: Zum einen seien Jugendliche jetzt noch viel mehr online beschäftigt, während andere jetzt am liebsten alles „in echt“ machten. Oder: Einerseits eine Überforderung mit Partizipation: „Das ist super, wenn wir alles selbst bestimmen können“ versus „Immer müssen wir alles selber machen.“ Es reicht nicht, Jugendlichen zu sagen „Ihr könnt frei entscheiden“, damit sie Projekte umsetzen. Sie benötigen einen Rahmen und müssen in der Regel erst erlernen, wie das gehen kann, da sie keine bis wenig Erfahrung damit haben. Schule wird nicht als ein Ort der Beteiligung wahrgenommen. Angebote sollten interessensgeleitet und freiwillig sein und einen Bezug zu ihrer Lebenswelt haben.

Über Partizipation werde oft nur im politischen Kontext gesprochen. Beteiligung spielt jedoch auf allen anderen Ebenen eine ebenso wichtige Rolle, in der Familie genauso wie in Schule oder Freizeit.

Auch wenn der aus dem englischen Sprachraum übernommene Fachbegriff Wellbeing (nicht zu verwechseln mit Wellness) oft irritiert – sich wohl fühlen, sich respektiert fühlen, ist Basis für erfolgreiches Lernen genauso wie für Mitwirkung oder erfolgreiche Sozialarbeit. Gerade die älteren Schüler:innen, zum Beispiel an Berufsschulen, hätten schon viele Ohnmachtserfahrungen gesammelt und deshalb häufig schon mit dem Thema Mitwirkung abgeschlossen.

Ein konkreter Tipp aus der Runde als eine mögliche und einfache Maßnahme für mehr Wohlbefinden und Augenhöhe: das Lehrer:innen-Du einführen.

Mit der Reihe rangezoomt. Jugendliche Lebenswelten lädt die DKJS regionale Politik, Verwaltung und Bildungspraxis ein, anhand der aktuellen SINUS-Jugendstudie ihre Arbeit mit und für Jugendliche wirksamer zu gestalten und näher auf die Lebenswelten und Bedürfnisse gerade von benachteiligten Jugendlichen einzugehen. Gefördert wird das Projekt durch die Soziallotterie freiheit+.

Hinweis: Anmeldelinks für die kommenden Veranstaltungen in Thüringen und Bayern gibt es hier: rangezoomt. Jugendliche Lebenswelten