Menschen und Geschichten

Ein Königreich für ein Kind

Das Dorf Etteln hat ein Problem: Ihm geht der Nachwuchs aus. Die Einwohner wollen diesem Prozess jedoch nicht tatenlos zuschauen. Sie habe eine Anschwung-Initiative gegründet, um den Ort für junge Familien attraktiver zu gestalten.

Ein Kind rutscht eine Rutsche hinunter

© DKJS/Piero Chiussi

„Feriendorf Etteln“ steht auf dem Schild am Ortseingang. Und fährt man die kurvige Straße hinunter ins Altenautal, in dem das Dorf liegt, fühlt man sich tatsächlich ein bisschen wie im Urlaub im bayerischen Wald. Die Bauernhöfe, der kleine Fluss und die grünen Hügel machen Etteln zu dem, was es ist: grün, herzlich und familienfreundlich.

Eigentlich perfekt für junge Leute, die im benachbarten Paderborn arbeiten, aber mit ihren kleinen Kindern lieber auf dem Land leben wollen. Doch genau diese malerische Lage ist auch schwierig: So schön das Tal auch ist, seine Ränder engen das Dorf ein und hindern es am Wachsen. Viele junge Ettelner sind in den letzten zwei Jahrzehnten weggezogen, weil sie sich den Traum vom eigenen Haus nicht erfüllen konnten. Denn: Etteln fehlt es an attraktiven Bauplätzen. Dem Dorf geht der Nachwuchs aus. Und das wird langsam zum Problem.

Mit dem Kampf um die Schule fing alles an

So richtig deutlich wurde das zum ersten Mal vor zwei Jahren, als die Ettelner Grundschule vor dem Aus stand, weil es zu wenige Erstklässler gab. „Da war uns klar: Wir müssen etwas tun“, erinnert sich Birgit Brand, Leiterin eines mittelständischen Unternehmens und Mutter zweier Kinder. Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern engagierte sie sich mit Flyern und Infoveranstaltungen für den Erhalt ihrer Schule. Es hat sich gelohnt: Die Schule konnte gerettet werden – vorerst. „Aber wenn nicht bald wieder mehr Familien mit Kindern in Etteln leben, muss die Schule und wohl auch der Kindergarten irgendwann schließen“, befürchtet Brand.

Deswegen engagiert sich die 43-Jährige jetzt in der örtlichen Anschwung-Initiative. Mit cleveren Marketing-, Bildungs- und Wohnkonzepten wollen die Ettelner in Zukunft junge Leute im Dorf halten und sogar neue Familien aus Paderborn und Umgebung locken. Johannes Lohmann, Diplom-Ingenieur für Maschinenbau und Vater von zwei Kindern arbeitet in der Arbeitsgruppe „Bildung“ mit. Und das, obwohl seine Kinder die Kita- und Grundschuljahre schon lange hinter sich haben. „Ich mache das auch für mich“, sagt Lohmann. „Denn wenn Etteln weiter schrumpft, machen hier irgendwann nicht nur Kita und Schule zu, sondern auch unser Einkaufsladen, der Arzt und alles, was unser Dorf lebendig und eigenständig macht.“

Das Dorf gemeinsam fit für die Zukunft machen

So wie Lohmann und Brand engagieren sich mittlerweile rund 40 Bürger für ihre Heimat Etteln. „Vielen ist klar geworden: Es geht hier nicht nur um die Schule oder unseren Kindergarten, sondern es geht um die Zukunft des ganzen Dorfes“, sagt Brand. „Die Frage war anfangs nur, wie schaffen wir es, etwas richtig Großes, Professionelles auf die Beine zu stellen?“

Denn ein Dorf tickt, wie ein Dorf eben tickt. Das gesellschaftliche Leben organisieren in Etteln größtenteils die Vereine. Mal stellen der Schützenverein, mal die Freiwillige Feuerwehr und mal der Sportverein eine Veranstaltung oder ein gemeinnütziges Projekt auf die Beine. „Bei dieser Initiative sollten sich aber alle im Dorf angesprochen fühlen und alle mitmachen“, sagt Diplom-Sozialpädagoge Elmar Schäfer. Der Familienvater und Sprecher der Anschwung-Initiative Etteln betont: „Dass Anschwung ein bundesweites Förderprogramm ist und uns mit Karin als überparteiliche Expertin auf unserem Weg begleitet, hat da sehr geholfen.“

Karin, das ist Karin Esch. Sie ist die Prozessbegleiterin, die die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung der Anschwung-Initiative Etteln an die Seite gestellt hat. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass alle, die sich engagieren wollen, ihre Ideen gleichermaßen einbringen können“, sagt Esch. Sie kann aber, wenn nötig, auch mal unbefangen Kritik äußern und Tipps geben, ohne dass gleich der Dorfsegen schief hängt.

Im ersten Dreivierteljahr schon viel erreicht

Die 40-Jährige arbeitet für mehrere Anschwung-Initiativen. Etteln ist mit seinen knapp 2.000 Einwohnern das kleinste Dorf, in das sie fährt. Vielleicht ist das ein Vorteil: „Es hat mich wahnsinnig beeindruckt, wie schnell die Leute sich hier organisiert haben und losgelegt haben“, sagt die Prozessbegleiterin.

Noch in der Nacht nach dem ersten Treffen hat sich Elmar Schäfer hingesetzt und mit einem Freund die Homepage www.anschwung-etteln.de für die Initiative programmiert. Mittlerweile hat die Arbeitsgruppe „Marketing“ ein Spendenkonto eingerichtet. Mit dem Geld lässt sie regelmäßig neue Flyer drucken, denn es gibt viel zu bewerben. Zum Beispiel ein Seminar für „Starke Mütter“, das in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle der Gemeinde organisiert wird. Außerdem werden auch einige Kurse der Volkshochschule Borchen jetzt in Etteln durchgeführt. Eine bessere Vernetzung ist nötig, so wollen Johannes Lohmann und die anderen Ehrenämtler in der AG „Bildung“ Leute aus den Nachbarorten in ihr Dorf locken und Ettelns Image verbessern.

Es ist viel passiert im ersten Dreivierteljahr der Initiative, findet nicht nur Esch. „Aber wir hätten nichts dagegen, wenn es noch schneller ginge“, sagt Sprecher Schäfer. Am liebsten hätten die Ettelner schon nach einem halben Jahr die ersten jungen Familien begrüßt, die ihre Zukunft in ihrem Dorf planen. „Das ist das Schwierige“, sagt Schäfer, „den Leuten klar zu machen: Man darf nicht nur auf das Ergebnis gucken und die Kinder zählen.“ Denn das Engagement lohnt sich, so oder so: „Ich finde es toll, dass ich was anstoßen kann“, sagt der 43-Jährige. „Alle im Dorf tun sich zusammen, und denken über die Zukunft nach. Allein das, ist schon viel wert!“

Schäfer gehört der Arbeitsgruppe „Marketing“ an. Die hatte gleich zu Beginn der Initiative alle Dorfbewohner aufgerufen, sich einen Werbespruch für Etteln zu überlegen. Mehr als 70 Vorschläge kamen so zusammen und wurden alle auf die Brötchentüten des Dorfbäckers gedruckt. So kann jetzt jeder Ettelner am Frühstückstisch mitentscheiden, was sein Dorf auszeichnet. Das schweißt zusammen, sagt Schäfer: „Wie heißt es so schön: Schönheit kommt von Innen. Wir wollen anderen jungen Familien zeigen, wie lebenswert Etteln ist. Aber dafür müssen wir uns selbst erst einmal klar werden: Was ist so gut an Etteln, dass auch andere Leute herziehen sollten?“

Und doch noch viel zu tun

Ist dieser erste Schritt gemeistert, soll es weitergehen. Wie, das kann der Blick auf erfolgreiche andere Anschwung-Initiativen zeigen. Karin Esch organisiert deswegen gemeinsam mit dem Servicebüro Anschwung für frühe Chancen in Köln einen Bus für eine Fahrt ins hessische Helsa. Die Bürger dort haben die gleichen Ängste wie die Ettelner: Auch sie machen sich Sorgen um die Zukunft ihrer Gemeinde, denn auch bei ihnen fehlen junge Familien mit Kindern.

Weil die Anschwung-Initiative in Helsa aber schon länger zusammenarbeitet, haben die Ehrenämtler dort bereits Erfahrungen gemacht, die für Etteln nützlich sein könnten – vor allem inhaltlich, also in Form von neuen Lösungswegen für ihr gemeinsames Vorhaben. Es dürfen aber auch praktische Fragen gestellt werden: Wie organisiert man die Zeit nach der Prozessbegleitung durch Anschwung? Wo kann man Fördergelder beantragen und worauf muss man achten, wenn man ein solches Formular ausfüllt? Denn, dass die Ettelner Initiative auch nach den 18 Monaten Förderung durch das Anschwung-Bundesprogramm weiterarbeiten soll, da sind sich alle in Etteln einig. Es ist noch viel zu tun für die Zukunft des Dorfes.

Die größte Herausforderung muss Etteln schließlich erst noch angehen: Dem Mangel an Wohnraum begegnet man nicht von Heute auf Morgen. Die Arbeitsgemeinschaft „Wohnen“ arbeitet an einem langfristigen Projekt: Sie möchte die alteingesessenen Dorfbewohner überzeugen, Haus und Grund für junge Familien zu öffnen. „Wir hoffen, dass sich die unter uns, die noch große Grundstücke besitzen, dazu entscheiden, ihr Land als Bauland anzubieten und dass die, die in ihrem Haus noch eine Wohnung vermieten könnten, das in Zukunft tun“, sagt Johannes Lohmann. „Auch die wollen wir mit ins Boot holen, um dann Alt und Jung zusammen zu bringen.“ Denn alle bisherigen Projekte der Anschwung-Initiative zahlen sich dann ein zweites Mal aus: Wenn die jungen Familien, die sie von Etteln überzeugen konnten, auch einen Platz in der Dorfgemeinschaft finden.

Text: Mareike Zeck

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