26.09.2023 · Aktuelles / Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern / Sachsen / Sachsen-Anhalt / Thüringen

Jung. Muslimisch. Engagiert.

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Das jumenga–Projektteam hätte für die Abschlussveranstaltung kaum einen passenderen Ort wählen können: das Refugio in Berlin–Neukölln. Neben einem Wohnprojekt für Alteingesessene und Menschen mit Fluchterfahrungen haben hier seit 2015 Kiezprojekte und Initiativen ihre Büros. Es gibt Künstlerateliers und Konferenzräume und im Erdgeschoss ein Café. Das Refugio hat sich der Gemeinschaft und dem Zusammenhalt verschrieben. Und das gilt im weiteren Sinne auch für jumenga -– jung muslimisch engagiert. Das Projekt ist 2019 mit dem Ziel angetreten, in den fünf ostdeutschen Bundesländern Moscheegemeinden als wichtige soziale Begegnungsorte zu unterstützen. Dazu gehörte, Vereinsvorstände und Ehrenamtliche in Moscheegemeinden zu qualifizieren, das zivilgesellschaftliche Engagement – insbesondere von jungen Menschen und Frauen – zu fördern sowie Kooperationen der Moscheegemeinden mit Akteur:innen in den Kommunen zu stärken. Dafür gab es innerhalb des Projekts Angebote zur Qualifizierung und zum Empowerment, Vernetzungstreffen mit anderen Moscheevereinen und finanzielle Förderung von Kleinprojekten.

Zwei wichtige Erfolgsfaktoren: Verdolmetschung und Kinderbetreuung

Die Teilnehmenden der jumenga-Abschlussveranstaltung essen nach einer gemeinsamen Arbeitsphase in dem einladenden Café zusammen Mittag und tauschen sich auf Deutsch und Arabisch aus. Es sind etwas mehr Frauen als Männer gekommen, viele der Musliminnen tragen einen Hijab. Ungewöhnlich für eine Tagung: Überall springen Kinder herum, die nach der Pause im Obergeschoss betreut werden, während ihre Eltern in dem Konferenzraum zusammenkommen. Judith Strohm, Projektleitung bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, zieht eine kurze Bilanz und erzählt von den besonderen Herausforderungen zu Beginn. Neben Corona und der Unmöglichkeit, sich persönlich treffen zu können, wurde schnell klar: Wenn hier auf Augenhöhe und gleichermaßen mit Frauen und Männern gearbeitet werden soll, braucht es bei den (anfangs digitalen) Veranstaltungen eine Verdolmetschung des Deutschen ins Arabische und umgekehrt. Genauso wichtig war die Betreuung der Kinder bei den späteren Präsenstreffen. Anders als in Westdeutschland sind die meisten Moscheevereine in Ostdeutschland sehr jung, vor 2015 lebten dort nur sehr wenige Muslim:innen. Da muslimische Gemeinschaften – anders als die christlichen Kirchen – in Deutschland keine Körperschaften des öffentlichen Rechts sein können, müssen sie Vereine gründen, um sich zu organisieren. Die Projektteilnehmenden diskutierten anfangs auch intensiv über die Frage, ob sie Fördergelder des deutschen Staates annehmen wollen, wenn sie doch Gelder aus dem Ausland ablehnen und keinem muslimischen Verband angehören wollen, um eine Einflussnahme von außen zu verhindern. Viele der Gemeinden haben sich erst für eine Förderung entschieden, als ihnen klar wurde, dass sie mit den Fördergeldern frei umgehen können und in ihrer Arbeit unabhängig bleiben. 

Schon einen Raum zu finden, ist schwer

Viele der anwesenden Muslim:innen teilen die Erfahrung von antimuslimischem Rassismus, dem sie in ihrem Alltag ausgesetzt sind: Neben verbalen Anfeindungen bis hin zu Gewalttaten haben es die meisten Vereine zum Beispiel sehr schwer, geeignete Räume zu finden. „Die Diskriminierungen durchziehen alle Lebensbereiche vom Kindergarten bis zu den Beerdigungen“, sagt die eingeladene Integrationsbeauftragte der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern Jana Michael. Auch deshalb war es so wichtig, dass der Schwerpunkt des Projekts auf der Stärkung von Engagement, Empowerment und Teilhabe lag, betont Judith Strohm. Gerade das habe dazu geführt, dass die Moscheegemeinden jumenga so positiv aufgenommen haben. „Wir waren überrascht, wie schnell wir gemeinsam mit euch einen Raum des Vertrauens aufbauen konnten, in dem ihr uns eure Sorgen, Nöte und auch Wünsche anvertraut habt“, sagt sie dankend zu den Teilnehmenden.

In der anschließenden Keynote spricht Dalal Mahra, Gründerin von Kopftuchmädchen, sehr persönlich über ihren Werdegang und warum sie die Medienplattform gründete: „Wir brauchen authentische Geschichten von muslimischen Frauen auf großen Leinwänden. Und da die meisten Medien immer nur das gleiche, einseitige Bild zeigen, müssen wir diese Geschichten selbst erzählen.“ Eine solche Geschichte könnte auch die von Wafa Alogla vom Salam Treffpunkt in Wittenberg sein. „Wir haben es mit der Unterstützung von jumenga geschafft, dass zwei Mädchen mit Kopftuch nach langer Suche endlich einen Ausbildungsplatz gefunden haben“, erzählt sie bei der Podiumsdiskussion. Neben Wafa Alogla sitzt der 19-jährige Baha Al-Moalmi vom Islamischen Bund Wismar und betont, dass die Unterstützung von jumenga vor allem der Nachwuchsförderung zugutegekommen ist. Jana Michael macht in der Diskussion unter anderem deutlich, wie dringend sich in der Politik und in den Kommunen etwas ändern muss. „Wir brauchen unbedingt eine Fachstelle zum Thema Islam und wir müssen für mehr Diversität und Mehrsprachigkeit in den Kitas und Schulen sorgen. Solange keine Menschen mit Migrationsbiografie in der Politik und Verwaltung arbeiten, wird sich gar nichts ändern.“ Fatima El Sayed vom Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität gibt zu bedenken, dass sich trotz aller schwierigen Entwicklungen in Deutschland auch schon viel getan habe und ein Projekt wie jumenga vor zehn Jahren in Ostdeutschland noch undenkbar gewesen wäre. „Es ist wichtig, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen und Projekte wie jumenga sind sehr wegweisend. Aber wir brauchen auch nachhaltige und langfristige Strukturen.

Teil der Gesellschaft sein, bedingt Teilhabe. Und umgekehrt: Durch Teilhabe verbinden sich Menschen mit der Gesellschaft.

Teilhabe kann nur funktionieren, wenn die Gesellschaft als vielfältige Gesellschaft gedacht wird und wir Muslime und geflüchtete Menschen als Teil der Gesellschaft verstehen.“ Hanna Attar von Claim – Allianz gegen Muslimfeindlichkeit stellt in ihrem Redebeitrag das Meldeportal www.i-report.eu vor, das erstmals antimuslimische Diskriminierungen und Übergriffen erfasst. In der Diskussion mit Teilnehmenden, die von Übergriffen berichten, macht sie deutlich, wie wichtig diese Meldungen sind, um das Ausmaß antimuslimischen Rassismus sichtbar zu machen und politische Forderungen stellen zu können. Zum Abschluss der Diskussion erläutert Nikolas Kretzschmar vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die großen Bemühungen seines Hauses, den Austausch und die begonnene Netzwerkarbeit mit den muslimischen Gemeinden fortzuführen. Zugleich hänge dies vom Bundeshaushalt ab, über den aktuell verhandelt werde.
 
Das Engagement von Muslim:innen muss sichtbarer werden

Am Ende der Veranstaltung füllt sich die Bühne nach und nach mit den Engagierten aller elf Gemeinden, denen Judith Strohm persönlich für ihr Engagement dankt. „Mischt euch unbedingt weiter ein, nicht nur als Muslim:innen, sondern auch als Bürger:innen. Mischt euch ein, wenn es um Umweltschutz, um Kinder und alte Menschen geht und bringt eure Perspektiven ein“, gibt die Projektleiterin den Teilnehmenden zum Abschluss mit. „jumenga hat uns sehr dabei unterstützt, unsere Ideen für den Nachwuchs umzusetzen, wie unsere Nähstube und eine Kinderbibliothek. Durch unsere Müllsammelaktion haben wir viel Sichtbarkeit in Wismar erreicht, sogar der Bürgermeister ist gekommen“, erzählt Nadia Elkorchi, die als Vorständin des Islamischen Bunds Wismar auf der Bühne steht. Suleman Malik vertritt die Ahmadiyya-Gemeinde in Erfurt. Seit mehr als zehn Jahren kämpft er trotz immenser Widerstände, bürokratischer Hürden und rassistischer Anfeindungen für den Bau der ersten Moschee in Ostdeutschland. „jumenga war wichtig, um sichtbar zu machen, dass muslimisches Leben und Engagement Teil dieser Gesellschaft ist. Die Unterstützung war gerade für kleinere Vereine hilfreich und motivierend, die nicht zu einem großen Verband gehören. jumenga hat uns dabei geholfen, unsere Arbeit zu präsentieren und uns als Ansprechpartner für die Kommunen anzubieten, denn sie brauchen uns und sollten viel mehr mit uns kooperieren“, sagt Suleman Malik. 

Am Ende der Veranstaltungen tauschen viele Teilnehmende ihre Kontakte aus und in der Herzlichkeit vieler Verabschiedungen ist zu spüren, wie die vierjährige gemeinsame Arbeit viele Menschen zusammengeschweißt und in ihrem wichtigen Engagement ermutigt hat. 

jumenga – jung muslimisch engagiert ist Teil des Pilotvorhabens „Moscheen für Integration – Öffnung, Vernetzung, Kooperation“ des Bundesministeriums des Innern und für Heimat im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist mit der Umsetzung beauftragt. 

In dem Pilotvorhaben arbeiten vier Trägerorganisationen eng mit Moscheegemeinden in ganz Deutschland zusammen: die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, der Paritätische Gesamtverband, die Otto Benecke Stiftung und das Goethe Institut.  

Reportage von Kathleen Fietz