12.10.2021 · Aktuelles

Wie 150 Jugendliche den Amtssitz des Bundespräsidenten eroberten

© dkjs

Am 7. Oktober übernahmen 150 Jugendliche und junge Erwachsene den Amtssitz des Bundespräsidenten. Einen ganzen Tag lang durften sie das Schloss Bellevue als Plattform für ihre Anliegen nutzen. Doch sie erhielten nicht nur den Schlüssel zum Schloss, sondern obendrein das Passwort für den Instagram-Kanal des Bundespräsidenten Steinmeier. Unter dem Hashtag #TakeoverBellevue posteten sie am 7. Oktober ihre Wünsche für die Zukunft und auch ihre Forderungen an die Politik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und DKJS-Schirmherrin Elke Büdenbender war es ein großes Anliegen, mit der „Generation Corona“ ins Gespräch zu kommen und mit der Aktion Takeover Bellevue eine Aufmerksamkeit für die Themen der Jugendlichen zu schaffen.

Die Themen der Gegenwart und der Zukunft

Das Projekt Takeover Bellevue wurde ganz im Sinne der DKJS von den jungen Teilnehmenden selbst organisiert. Eine Kerngruppe von 50 Teilnehmenden arbeitete bereits im August an der Planung und Umsetzung des Aktionstages. Sie wählten die acht Themen, die der jungen Generation aktuell am wichtigsten sind und zugleich maßgeblich ihre Zukunft beeinflussen werden. Am 6. und 7. Oktober war es dann endlich so weit und knapp 150 junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren kamen im Schloss Bellevue zusammen, um in acht Workshops Probleme zu identifizierten und Lösungen zu diskutieren. Die Ergebnisse präsentierten sie am Nachmittag dem Bundespräsidenten, Elke Büdenbender und der Presse.

1. Speak for Participation

Das Takeover hat eines ganz besonders gezeigt: Die Jugend ist engagiert und muss beteiligt werden. Die Teilnehmenden des Workshops „Speak for Participation” fordern mehr und breitere Jugendbeteiligung für 9,2 Millionen Jugendliche in Deutschland. Denn junge Menschen möchten in allen Bereichen mitwirken: in Schüler:innenvertretungen, Ausschüssen, Jugendzentren, Beiräten und Foren. Sie sollten an Diskursen aller für sie relevanten Themen wie beispielsweise Klima oder Bildung teilhaben. Alle sollten die Möglichkeit haben zu partizipieren. Sie wünschen sich, dass ihre Meinung ernsthaft berücksichtigt wird und ihre Wünsche in die Politik eingehen. Scheinbeteiligung reicht ihnen nicht. In ihrer Präsentation stellten die Jugendlichen unter anderem folgende konkrete Forderungen:

  • Jeder Mensch soll wählen können. Denn die Wahl ist die einzige Möglichkeit, das politische System mitzugestalten.
  • Auf kommunaler Ebene sollte Beteiligung selbstverständlich sein. Junge Stimmen sollten mehr Gehör finden und Kommunen Rechenschaft zur Beteiligung junger Menschen ablegen müssen. Es sollte regelmäßige Beteiligungsanlässe und viel mehr Formate für Beteiligung geben.

2.  Artikel 3 GG „Gleiches Recht, gleiche Chance“

Im Workshop „Artikel 3 GG“ befassten sich die Teilnehmende mit dem Thema „Gleiches Recht, gleiche Chance“ und mit den tatsächlichen Unterschieden zwischen Gesetz und Realität. Denn Diskriminierung ist gesellschaftlich und strukturell verankert. Deshalb fordern die jungen Menschen eine diskriminierungssensible Bildung. Bildung soll Diversität reflektierten. Außerdem müssten Gesetze, die Menschen an ihrem Arbeitsplatz diskriminieren, abgeschafft werden.

3. IncluCulture – Jugend und Inklusion gemeinsam denken

Die Teilnehmenden des Workshops „Incluculture“ setzten sich mit gesellschaftlicher Diskriminierung auseinander und fragten sich, wann ein Mensch diskriminiert wird und warum. Sozialer Status, Bildungsstatus, Herkunft, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Behinderung: Diese Dimensionen beeinflussen die gesellschaftlichen und beruflichen Chancen junger Menschen. Diskriminierung ist omnipräsent. Das bewiesen die Jugendlichen in ihrer Präsentation. Sie führten den Anwesenden deutlich vor Augen, dass auch das Takeover nicht alle Gruppen erreicht – trotz der hohen Vielfalt der Teilnehmenden. Fazit des Workshops: Damit Veränderungen gesellschaftlich gelingen kann, müssen alle Gruppen in allen wichtigen Entscheidungen repräsentiert werden. Die Jugendlichen forderten: „Mehr Inklusion! Jetzt!“

4. Heiß, heiß, Baby – Was kommt mit der Klimakrise auf uns zu?

Wenn die Klimakrise bewältigt werden soll, muss sich einiges verändern. Die Gruppe der jugendlichen Teilnehmenden, die sich mit der Klimakrise befasste, wünscht sich einen wirklich grünen und keinen weißen Klimaschutz. In ihrer Präsentation formulierten sie weitere konkrete Forderungen:

  • Schule muss nachhaltiger werden. Ein erster Schritt: Die Klimakrise muss Teil des Curriculums werden.
  • Wir brauchen eine radikalere Klimapolitik: Wirtschaftsformen und Gesellschaft müssen sich verändern.
  • Der Kohleausstieg muss aktiv vorangetrieben werden.

5. Junges Europa – Vernetzung und Austausch

Junge Menschen wünschen sich  einen europäischen Sozialstaat, Chancengleichheit, sichere Fluchtwege, einen einheitlichen Bildungsfahrplan und nachhaltiges Wirtschaften. Wenn man die Jugend fragt, braucht es gleiche Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer:innen in Europa. Damit Europa zusammenwachsen kann, sollten alle Schüler:innen einen Auslandsaufenthalt von mindestens sechs Wochen in einem anderen EU-Land absolvieren, um sich mit anderen jungen Europäer:innen vernetzen zu können. Junge Menschen sollten in allen EU-Ländern schon ab 16 an den Europawahlen teilnehmen können. Außerdem sollte es einen europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben, der neutral und unabhängige Informationen für europäische Bürger:innen aufbereitet.

6. ICH und die Pandemie – wie mich Corona veränderte

„Wir sind nicht nur die Zukunft. Wir werden jetzt durch diese Gesellschaft geformt!“

Corona hat viele Ängste bei jungen Menschen geschürt, sie aus ihrer Komfortzone rausgeworfen, soziale Phobien hervorgerufen oder verstärkt. Manche haben vergessen, wie man kommuniziert, wie man auf Leute zugeht. Viele sind vereinsamt, weil sie keinen Zugang zum Onlineaustausch hatten. Für all die vielen psychischen Probleme gibt es viel zu wenig Therapieplätze. Damit diese Probleme nicht zu Stigmatisierung führen, braucht es mehr Austausch zu Mental Health. Die Jugendlichen wünschen sich, dass das Thema in der Schule behandelt wird. Psychische Gesundheit müsse in die Öffentlichkeit rücken.

7. Solidarität v2.021 – Solidarität in einer digitalen Gesellschaft

Im digitalen Raum können Konflikte eskalieren. Beleidigungen, Hate Speach und Cybermobbing sind alltäglich. Wie viel Solidarität gibt es im digitalen Raum? Wie können Solidaritätskonflikte im digitalen Raum gelöst werden? In ihrer Präsentation stellte die Gruppe eine Konfliktsituation nach und ließ das Publikum diese in einem konstruierten WhatsApp-Chat selbst erleben und nachempfinden. Sie machten sich Gedanken über verschiedene Rollen, die es im digitalen Raum gibt und wie Konflikte gelöst werden könnten. Ihr Fazit: Am Ende braucht es eine Reflexion von Diskriminierung und vor allem mehr digitale Bildung.

8. Bildung für morgen – digital, politisch, zukunftsfest

In einem Punkt sind sich alle jugendlichen Teilnehmenden einig: Die Bildung von morgen braucht Veränderung. Junge Menschen müssen und wollen von Anfang an Verantwortung übernehmen, um ihre Lebenswelt mitzugestalten und demokratisches Handeln einzuüben. Ihre Vorschläge:

  • Bildung soll individueller werden. Auch die individuellen Interessen und (psychologischen)Bedürfnisse sollten berücksichtigt werden. Lehrkräfte müssten dafür geschult werden.
  • Fachliches Lernen sollte mit projektorientiertem und praktischem Lernen verbunden werden. Dadurch könnten auch Schüler:innen, die sich weniger für Mathe oder Deutsch begeistern, den Nutzen der Schule direkt erleben. Außerdem könnten die Bedürfnisse und Interessen der Schüler:innen durch Projekte besser berücksichtigt werden.
  • Es braucht ein stärkeres Bewusstsein für strukturelle Diskriminierungen. Antidiskriminierung müsse Teil der Aus- und Fortbildung von Lehramtsstudierenden werden

Am Ende des Tages zeigten sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender zufrieden: „Die Jugendlichen verdienen eine Politik, die ihre Zukunft offenhält. Ihre Hoffnungen und Ihre Fragen gehören auf die politische Agenda unseres Landes. (...) Ich will mich dafür einsetzen, dass dieser Tag keine Eintagsfliege bleibt“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

 

Takeover Bellevue ist eine Zusammenarbeit vom Bundespräsidialamt und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung mit Unterstützung von UNICEF Deutschland, der Hertie-Stiftung, der ZEIT-Stiftung und der Soziallotterie freiheit+.