07.11.2013 · Aktuelles / Berlin

Symposium im Schloss Bellevue: Dem Schulerfolg auf der Spur

© DKJS/S.Käferstein

Wie können Lehrer Schülern konkret dabei helfen, Erfolge zu erleben? Welche Maßnahmen motivieren junge Menschen, ihren Abschluss zu machen? Diesen Fragen ging DKJS-Schirmherrin Daniela Schadt gemeinsam mit Lehrkräften, Eltern und Jugendlichen sowie Experten aus Wissenschaft und Praxis beim Symposium "Schulen im Schloss" nach. Eine Reportage.

Schulleiterin Dagmar Drummen hat ein Haus mitgebracht ins Schloss Bellevue. Als sie das Modell auf der Bühne des großen Saales hochhält, ist deutlich zu sehen: Alle Fenster gewähren Ein- und Ausblicke, nur ganz rechts sind die Läden zugeklappt. „Schule muss sich öffnen und transparenter werden", erklärt die Schulleiterin. Wie man erkennen könne, sei das an ihrer Grund- und Gemeinschaftsschule im schleswig-holsteinischen Boostedt schon in weiten Teilen gelungen. Am letzten geschlossenen Fenster arbeite ihr Kollegium gerade. Wie, das berichtet sie später in einer der Arbeitsgruppen.

Das Symposium „Schulen im Schloss – Schulerfolg im Blick der Praxis" wird ebenfalls einen Teil dazu beitragen. Daniela Schadt, Schirmherrin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), hat Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Praxis zum Austausch geladen. Nicht über Schule, sondern mit Schule solle geredet werden, erklärt die Moderatorin und Bildungsjournalistin Heike Schmoll zum Auftakt. Acht Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet nehmen teil, von jeder sind auch zwei Schülerinnen oder Schüler mit nach Berlin gereist.

Jan Bausewein und Tale Meier vom Goethe-Gymnasium in Bensheim haben schon viele Fotos gemacht – zunächst wie alle Touristen draußen vor dem Zaun, nach der Sicherheitskontrolle dann direkt im Amtssitz des Bundespräsidenten. „So eine Chance erhält man ja nur einmal", sagt Tale. Für Schulleiter Jürgen Mescher war die Einladung eine „große Überraschung". Schließlich empfände sich das Goethe-Gymnasium als ganz normale Schule und nicht unbedingt als Leuchtturm. „Ich finde die Möglichkeit großartig, heute mit Bildungspolitikern ins Gespräch kommen zu können", sagt Jürgen Mescher, „wir fühlen uns da oft abgekoppelt, denn die Politik orientiert sich ja stark an der Bildungsforschung."

Leuchtturm hin oder her – jede der acht Schulen hat etwas Besonderes zu bieten, das zeigt sich schon beim ersten Blick auf die vier Schwerpunktthemen des Symposiums. Das Goethe-Gymnasium etwa kümmert sich ebenso wie die Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule Kiel intensiv um die individuelle Leistungsförderung. Zwei andere Schulen haben sich viel einfallen lassen, um den Übergang von der Schule in den Beruf zu sichern. In einem dritten Workshop stellen Schulen Beispiele für herausfordernde Lernanlässe und motivierende Lernformen vor, im letzten geht es um gelungene Maßnahmen gegen Schulabbruch oder steigende Wiederholer-Quoten.

„50.000 Schulabbrecher pro Jahr können und wollen wir uns nicht leisten", das sagt Daniela Schadt in ihrer Eröffnungsrede denn auch ganz deutlich. Es gehe dabei nicht nur um den Standort Deutschland, sondern vor allem um die Zukunft der jungen Menschen. „Die Frage ist daher: Wie kann es gelingen zu fördern und zu fordern, ohne dabei zu überfordern?" Mit der Veranstaltung wolle sie dazu beitragen, den Kern guter Praxis stärker sichtbar zu machen, erklärt die Lebensgefährtin des Bundespräsidenten.

Hattie nutzen, aber nicht als „Fastfood"

Vor dem intensiven Austausch in den vier Workshops kommt zunächst aber noch die Wissenschaft zu Wort. Der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer, Professor an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, hat die vielbeachtete Hattie-Studie ins Deutsche übersetzt, die größten Datensammlung zur Bildungsforschung, die jemals ausgewertet wurde. Jetzt warnt er vor einem „Fastfood-Hattie": Es gelte genau zu lesen. Auch seien nicht alle Erkenntnisse des Neuseeländers John Hattie eins zu eins auf das deutsche Schulsystem übertragbar.

Als Beispiel möge die Kritik an den langen Sommerferien genügen: Die dauern in den USA drei Monate, in Deutschland aber nur sechs Wochen. Und wenn es bei Hattie heiße „teachers make the difference", dann seien ausdrücklich Lehrpersonen im Plural gemeint, was die Arbeit und den Austausch im Team einschließe. „Die Zuspitzung auf die Lehrperson scheint mir ein pädagogischer Mythos zu sein", sagt er. Obendrein könne diese zu einer Überforderung führen, die der Sache mehr schade als nütze, und die Eltern aus ihrer Verantwortung entlasse. „Die Lehrperson ist ein Guide, der im ständigen Austausch versucht, das Ziel zu erreichen", sagt Klaus Zierer. Das schließe auch das Feedback innerhalb der Schülerschaft mit ein, das gemeinsame Lernen in der Gruppe und von Peers, ebenso wie das Feedback von den Schülerinnen und Schülern zur Lehrperson.

Wie Schulerfolg zum Thema der ganzen Schule werden kann

Der 19-jährige Oberstufenschüler Sefa Idrisoglu aus Mannheim hat Feedback gegeben und gefordert – und sich direkt an all jene Lehrerinnen und Lehrern gewandt, von denen er sich stärkere Förderung wünschte. „Das Vertrauensverhältnis ist entscheidend", sagt er, „und man muss die Schüler dazu bringen, dass sie selbst etwas tun wollen, sonst bringt auch die beste individuelle Förderung seitens der Lehrer oder Eltern gar nichts."

Sefa sagt von sich selbst, er habe erst nach der achten Klasse „gezündet". Mit einer Realschulempfehlung war er an die Integrierte Gesamtschule Mannheim Herzogenried (IGMH) gekommen. Jetzt macht er sein Abitur. Sein Ziel? „Ein Abschluss mit 1,3 und dann Chemische Technik studieren!"

Im Workshop „Schulabschluss: Niemanden verloren geben!" kann die IGMH auch davon berichten, wie es die Gesamtschule schaffte, ihre Nicht-Versetzungsquoten in den letzten sieben Jahren von 11,2 auf 2,6 Prozent zu senken. Damit liegt die Gesamtschule im Trend: Deutschlandweit sank laut Statistischem Bundesamt die Zahl der sogenannten Sitzenbleiber in den letzten zehn Jahren auf die Hälfte. „Es besteht aber immer die Gefahr, an den Symptomen zu arbeiten und nicht an den Ursachen", sagt Rainer Bade vom Schulleitungsteam.


Die Mannheimer IGHM hat sich daher für Maßnahmen entschieden, die das gesamte Schulklima verändern. „Wir halten Partizipation für einen ganz wesentlichen Bestandteil des Schullebens, weil dadurch Identifikation entsteht", erklärt Rainer Bade. Identifikation führe zu Motivation, und die wiederum zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit: „So erzeugen wir auch Zufriedenheit in der Schule." Diese vier Faktoren gelte es immer im Blick zu behalten, damit Maßnahmen nicht wirkungslos verpuffen. Die IGHM hat folgende ergriffen: Gezielte (fach)spezifische Fördermaßnahmen, zusätzliche Viertel- und Dreivierteljahresnoten, regelmäßige Erhebung und Analyse von Daten, Begrenzung der Zahl der Klassenarbeiten pro Woche, Integration der Schulsozialarbeit als festen Bestandteil der Schularbeit, Unterstützung durch externe Partner, Bildung schulinterner AGs für Feedback, Schüler-Coaching und Lehrergesundheit, und – last but not least: Die Schulleitung hat auch die Verantwortung für den Schulerfolg übernommen.

Die Sekundarschule „Comenius" im sachsen-anhaltinischen Salzwedel kann in der Arbeitsgruppe Konkretes zur Frage beisteuern, wie sich Schulabbrüche vermeiden lassen. Innerhalb von sechs Jahren gelang es der Schule, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss zu halbieren. Dabei helfen ein klar formuliertes Förderkonzept, das Landesprogramm „Schulerfolg sichern!" und das „Produktive Lernen": Schulmüde Schülerinnen und Schüler lernen drei Tage pro Woche an selbst gewählten Praxisplätzen und anschließend zwei Tage in der Lernwerkstatt. Ihre Versetzungs- und Abschlussquote bewegt sich zwischen stolzen 90 und 100 Prozent. „Es geht darum zu sehen, jedem Kind zu vermitteln ‚Ich sehe dich.'", findet Schwimmerin Britta Steffen, die von ihren Erfahrungen mit Motivation und Leistung berichtet.

Verschiedene Perspektiven – gemeinsame Verantwortung

In jedem Workshop sitzen so viele Expertinnen und Experten beisammen, dass sich die Arbeitswände im Handumdrehen füllen – mit Handlungsempfehlungen, offenen Fragen, Zielformulierungen und nicht zuletzt mit vielen, vielen Praxistipps. Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, äußert sich sehr zufrieden mit dem Ergebnis des Symposiums. „Heute ist es gelungen, die großen Worte zu entzaubern", sagt sie in der zusammenfassenden Diskussion. Kein Kind soll zurückgelassen werden? Niemand könne etwas dagegen haben. „Was aber heißt das genau und wie geht das eigentlich? Dieses Wissen werden wir jetzt aufarbeiten und nutzbar machen", verspricht Heike Kahl. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung sei ein guter Partner, um zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Schule Brücken zu schlagen und Netzwerke herzustellen. „Uns ist es aber wichtig, nicht beim Thema Kooperation stehen zu bleiben. Es geht darum, Diskurse anzustoßen, die wir in der Gesellschaft brauchen."

Und schon beginnt in der großen Runde ein neuer Diskurs: Da Professor Klaus Zierer den Unterricht und nicht die strukturellen Fragen als entscheidend für den Lernerfolg ansieht, hält er auch die Diskussion um eine flächendeckende Einführung der Ganztagsschule nicht für zielführend. Bettina Bundszus vom Bundesministerium für Bildung und Forschung widerspricht vehement. Allein über das Thema Ganztag ließe sich mindestens einen ganzen Tag lang sprechen – aber Moderatorin Heike Schmoll hat die Uhr im Blick. „Ich habe mehrfach gehört, die Zeit sei zu kurz gewesen, kann Ihnen aber versichern, dass wir auch mit mehr Zeit in keinem Punkt zu einem abschließenden Ergebnis gekommen wären", sagt sie mit einem Lächeln. Trotzdem könne sicher bereits einiges mitgenommen und im besten Fall am morgigen Tag in der Schule angewendet werden. Schulleiter Carsten Haack von der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule aus Kiel, sagt, er werde auf jeden Fall auch die Begeisterung mit zurück nach Kiel und in sein Kollegium nehmen, die heute bei vielen Beteiligten zu spüren gewesen sei.

Auch Jan und Tale müssen in zwei Stunden wieder in den Zug Richtung Hessen steigen. Für Sightseeing in Berlin bleibt keine Zeit mehr. „Es hat sich aber auf jeden Fall gelohnt", sagt Schulsprecher Jan, als sich die beiden im Kleinen Saal für ein letztes Foto unter den gewaltigen Kronleuchtern aufstellen. „Mir hat sehr gefallen, dass auch Vertreter aus Wirtschaft und Politik da waren und dass es keine harmoniesüchtige Veranstaltung gewesen ist, sondern dass auch kontrovers diskutiert wurde." Tale nickt. „Unsere Meinungen wurden gehört", sagt sie. „Für mich war es auch beeindruckend zu sehen, dass sich so viele um uns Gedanken machen. Davon erfährt man im Schulalltag ja gar nichts."

Text: Beate Köhne