02.06.2020 · Aktuelles

Jugendhilfe 2040? – Wir brauchen Makrovisionen und Mikromut

© dkjs/Jann Wilken

Wie lässt sich Jugendhilfe so gestalten, dass alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden? Wie können die Ressorts der Kommunen integrativer zusammenarbeiten, um Synergien zu schaffen? Wie sieht Jugendhilfeplanung im Jahr 2040 aus? Diese Fragen diskutierten über 50 kommunale Vertretende aus Sozialplanung, Jugendamt, Stadtplanung sowie aus Wissenschaft und Organisationen. Zu der digitalen Auftaktveranstaltung eingeladen hatte die Initiative Kommune 360°, die Kommunen bei der Gestaltung integrierter Jugendhilfeplanung unterstützen wird.

Derzeit zeigt sich, dass bereits bestehende Probleme und prekäre Lagen durch die Corona-Pandemie verschärft worden sind, entsprechend werden sich die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen sowie die Arbeitsbedingungen in den Kommunen weiter stark verändern. Viele junge Menschen sind in Gefahr, noch weiter abgehängt zu werden, weil sie weder durch herkömmliche noch durch die üblichen digitalen Angebote erreicht werden. In der aktuellen Situation liegt jedoch auch die Chance, neue Formen von Kooperation, neue digitale wie analoge Formate zu entwickeln und zu etablieren. So können resiliente Kommunen entstehen, die nicht nur auf Krisen gut vorbereitet sind, sondern vor allem aktuelle sowie künftige Herausforderungen meistern.

Beteiligung als essenzieller Bestandteil von Planung

Wie lassen sich aber konkret die Barrieren zwischen Ressorts und Fachbereichen sowie Hierarchien zwischen kommunaler Politik, Verwaltung und den Trägern abbauen? Wie können Kommunen zu einer kooperativen Planung kommen, an der alle – auch die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien – beteiligt sind? In der Diskussion wurde deutlich, dass dies ein Prozess ist, der von allen gewollt sein muss. Notwendig sei zunächst das Verständigen über Begriffe wie „Kooperation“ und „Partizipation“ sowie das Vereinbaren gemeinsamer Ziele, die Maßnahmen und die Finanzierung. Oft werde argumentiert, es sei kein Geld da für neue oder andere Maßnahmen. Hier könne man den Mehrwert von Kooperation und Beteiligung aufzeigen und die dadurch mittel- bis langfristig eingesparten Kosten. Außerdem sei bei allen Geduld und ein langer Atem gefragt: „Es dauert, bis sich Strukturen und Prozess etabliert haben“, berichtete Katja de Jong von der Stabsstelle Jugendhilfe und Sozialplanung Pinneberg. Beteiligung dürfe nicht als punktuelles Format eingesetzt werden, sondern sei essenzieller Bestandteil von Planung, so ein Kommunalvertreter.

Mehr Beteiligung in Planungsprozessen führe zu mehr Zeitaufwand, jedoch auch zu mehr Qualität und Legitimation, beurteilten jeweils drei Viertel der Teilnehmenden bei einer Mentimeter-Umfrage während der Veranstaltung. „Jugendhilfeplanung kann nur im Verbund mit anderen Fachplanungen eine strategische Wirkung als kommunale Sozialplanung entfalten“, betonte Prof. Dr. Jörg Fischer, Leiter des Instituts für kommunale Planung und Entwicklung (IKPE).

Anhand der Corona-Krise sehe man gerade, wie schnell man umdenken, umplanen und agil arbeiten könne. „Das hilft uns jetzt“, so Ralf Güldenzopf, Dezernent für strategische Planung und Stadtentwicklung der Stadt Oberhausen. Hier bewegt man sich bei der Entwicklung der integrativen Jugendhilfeplanung gerade weg von Output (Ergebnissen) hin zu Outcome (tatsächlicher Wirkung).

„Es geht um die ganzen 360 Grad“

Insgesamt zeigt sich der Entwicklungsstand in den Kommunen sehr heterogen. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. bietet bis zu 900 Kommunen eine Plattform für Austausch sowie vielzählige Empfehlungen. Das Ziel, die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse zu schaffen, sei föderal schwierig, sagte Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins. Die politischen Spitzen müssten dies wollen und befördern. Dazu gehöre auch, diese politische Verantwortung wahrzunehmen. Dafür müsse ein Bewusstsein geschaffen werden. Zudem: „Für integrierte Planungsprozesse braucht es Makrovisionen und Mikromut“, so Ralf Güldenzopf. Um den Wissens- und Methodenaustausch sowie Beispiele guter kommunaler Praxis zu verbreiten und zu fördern, sei die Initiative Kommune 360° wichtig und motivierend, sagten die Teilnehmenden.

Der Poetry Slammer Lars Ruppel fasste abschließend die Inhalte der Veranstaltung in ein pointiertes Gedicht mit dem Fazit, nun sei „keine Zeit für Technokratie, sondern Zeit für Resonanz und Empathie“. Denn: „Es geht um die ganzen 360 Grad.

Kommune 360° knüpft ein bundesweites Netzwerk von Akteuren und Akteurinnen aus kommunaler Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Die Initiative sucht kooperativ nach Wegen, wie Kommunen Kinder und ihre Familien noch besser unterstützt werden können. Der Fokus: Integrierte Planungs- und Koordinationsprozesse. Die Auridis Stiftung, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die gemeinnützige PHINEO AG haben Kommune 360° ins Leben gerufen.