22.04.2016 · Aktuelles

Eine runde Sache

© dkjs/A. Schmidt-Wiethoff

Integration durch Fußball: Diese Idee bringt selbst Erzrivalen wie den FC St. Pauli und den HSV an einen Tisch. Am 21. April kamen in der Hamburger Weg Lounge die Vertreter der beiden Hamburger Willkommensbündnisse zusammen. 60 000 Geflüchtete sind im vergangenen Jahr in der Stadt Hamburg angekommen – draußen auf dem Platz sind einige von ihnen am Kicken.

14 Jahre ist Reza alt, er wohnt in der Zentralen Erstaufnahmestelle in der Hamburg-Lokstedter Papenreye, und die Frühlingssonne blendet ihn beim Sprechen. Reza ist in Afghanistan aufgewachsen, südlich von Kabul. Seit sechs Monaten ist er hier, und er kann das alles bereits auf Deutsch erzählen. Sein Asylverfahren läuft. Viel wichtiger aber: Reza ist Fan von Real Madrid, und er hat gerade das 3:1 gemacht – für den FC St. Pauli. Was toll ist am Fußballspielen? – „Jonas!“

Jonas Braun, FSJ-ler beim FC St. Pauli, ist sich sicher: „’nen besseren Integrationshelfer als Fußball gibt es nicht. Jeder kennt Fußball, und jeder kennt Cristiano Ronaldo und Lionel Messi – das ist einfach so.“ Jonas ist das, was die Willkommensbündnisse ausmacht: die Kooperation in Person. Jeden Dienstag kommt Jonas in die Erstaufnahmestelle in der Papenreye und holt alle, die wollen, zum Fußballspielen ab. Letzte Woche hatte er 80 Kinder und Jugendliche im Schlepptau, von vier bis vierundzwanzig, Mädchen und Jungen. Das Trainingszentrum des FC St. Pauli liegt direkt gegenüber, in der Kollaustraße. Hier trainieren die jungen Geflüchteten jede Woche, neulich sogar einmal gemeinsam mit den Profis. Für Reza sucht Jonas gerade nach einem Verein. Gerade gestern hat er für zwei andere Jungen aus der Papenreye ein Team gefunden.

Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, ist „beeindruckt von der Resonanz“, die das Projekt Willkommen im Fußball seit seinem Start im Frühjahr 2015 gefunden hat: Zwanzig Profifußballclubs bundesweit sind aktiv geworden. Unterstützt durch die Bundesliga-Stiftung und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, kooperieren sie mit sozialen Trägern und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor Ort.

In Hamburg haben sich gleich zwei Willkommensbündnisse gebildet, die junge Geflüchtete unterstützen. Der FC St. Pauli kooperiert mit dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der seit Oktober 2015 die Erstaufnahmestelle in der Papenreye betreibt. Dazu kommt noch der Turn- und Sportverein Germania Schnelsen. Denn es sind die Breitensportvereine, in denen Integration wirklich passiert.

“Refugees Welcome“ steht auf dem Trikot von Frank Alster, Trainer bei Germania Schnelsen. Sein Verein bemüht sich vor allem um unbegleitete junge Geflüchtete. Alsters Erfahrung: „Es gibt nicht den Flüchtling oder den Ausländer oder den Deutschen, sondern es gibt gute und schlechte Fußballer. Matti und Ahmed. Da braucht es einfach einen Ball vor die Füße, und alles andere ergibt sich.“

Auf dem Gelände des HSV trainieren zwei Mal pro Woche Kinder und Jugendliche aus der zentralen Erstaufnahme in der nahegelegenen Schnackenburgallee. Kooperationspartner ist hier das Willkommen-Team Norderstedt e.V., ein Zusammenschluss von mittlerweile über 150 Ehrenamtlichen. Gemeinsam mit dem HSV e.V., der 75000 Mitglieder starken Mutter des Profifußballvereins, und der HSV-Stiftung „Der Hamburger Weg“ bilden sie ein potentes Bündnis. Marius Dietrich vom Arbeitsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, bringt es auf den Punkt: Solche Kooperationen vereinen „die Popularität und Strahlkraft des Profifußballs mit der Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit der Amateurvereine.“

1,1 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr neu in Deutschland angekommen. Das verändert auch die Vereine. „Eine Bereicherung ist das“, findet Trainer Frank Alster. „Wenn ich mit Deutschen arbeite, ist meine Aufgabe das Training, da bin ich nur auf den Sport fokussiert. Wenn ich einen Flüchtling vor mir habe, dann muss ich mich mit anderen Kulturen auseinandersetzen. Wenn ich einen deutschen Spieler umarme nach dem Tor, kann ich das mit einem syrischen Spieler auch machen? Da kommt man gar nicht daran vorbei, sich persönlich weiterzuentwickeln.“ Frank Alster weiß gar nicht genau, wie viele Geflüchtete er eigentlich trainiert, „und das finde ich auch gut so. Weil das ja zeigt, dass sie gar nicht mehr als Flüchtlinge auffallen. In meiner A-Jugend sind Jungs, die sind seit über einem Jahr da - aber die laufen nicht unter der Kategorie ,Flüchtling‘ “. Das ist halt der Hamsa, der bei mir spielt, und er kommt aus Ägypten. Ich finde: Das Ziel muss sein, dass diese Kategorien überflüssig werden.“

Jonas steht auf dem Platz, er wischt sich den Pony aus dem Gesicht und eine Träne aus dem Augenwinkel. „Das ist so bewegend. Gerade sind ein paar Jungs zu mir gekommen, haben mich umarmt und mir gesagt, wie toll sie das alles finden, und wie gern sie mich haben. Ich bin total fertig, ey.“

Reza wird derweil von Reportern belagert, denn er ist derjenige aus seiner Mannschaft, der am besten Deutsch kann. Freundlich beantwortet er alle Fragen. Ja, er ist aus der Nähe von Kabul. Sein gutes Deutsch hat er im „Camp“ gelernt, in der Papenreye. Nein, über sein Aufenthaltsrecht ist noch nicht entschieden. Er verabschiedet sich höflich: „Ich muss mal nach meinem kleinen Bruder gucken.“ Der hat einen Ball abbekommen, liegt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Rasen und hält sich den Bauch. Integration kann auch mal wehtun.