24.02.2021 · Aktuelles

Cybermobbing im Distanzunterricht

© dkjs/Anne Barth

Nach wie vor hat uns die Corona-Pandemie im Griff. Schüler:innen lernen im „Home Office”, Videokonferenzen mit der Klasse stehen beim Distanzunterricht auf der Tagesordnung. „In echt” begegnen Schülerinnen und Schüler sich untereinander oder ihren Lehrkräften nicht oder nur selten. Wirkt sich das auch auf Cybermobbing aus? Nimmt es andere Formen an? Kommt es jetzt häufiger vor?

Verstärkt Distanzunterricht Cybermobbing?

Ob Cybermobbing jetzt vermehrt vorkommt, ist eine der Fragen, die auch Prof. Dr. Anja Schultze-Krumbholz von der Technischen Universität Berlin umtreibt. In ihrem Vortrag „Was wissen wir über Cybermobbing?“ bei der Online-Fachtagung „Cybermobbing und Digitale Medien in Schule und Unterricht“ der Europa-Universität Flensburg am 13. Februar 2021 beantwortete sie sie mit: Wir wissen es noch nicht. Die Forschung dazu läuft noch, aber die Vermutung liegt zumindest nahe, dass Distanzunterricht Cybermobbing begünstigt.

Darauf deuten auch die Ergebnisse der Cyberlife-III-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. hin, in deren Rahmen zwischen Februar und November 2020 rund 6.000 Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern befragt wurden: „Die phasenweise Umstellung des Schulbetriebs auf Fernunterricht in Folge der Corona-Pandemie hat die Wahrscheinlichkeit von Cybermobbing erhöht und zur Zunahme von Cybermobbingfällen beigetragen, da sich die Sozialkontakte von Jugendlichen vermehrt ins Internet verlagert haben,” schreiben die Autor:innen in einer Zusammenfassung.

Auf die gestiegene Internetnutzung durch Kinder und Jugendliche im Pandemiejahr geht auch Schultze-Krumbholz ein. Corona habe hier „Einiges durcheinandergewirbelt“, man müsse abwarten, ob die Nutzung nach der Pandemie wieder zurückgehe oder sich auf einem hohen Niveau einpendle. Liegt die Zunahme an Cybermobbingfällen also nur daran, dass (vorübergehend oder dauerhaft) insgesamt mehr der sozialen Interaktionen von Kindern und Jugendlichen online stattfinden?

Was ist an Cybermobbing besonders problematisch?

Selbst wenn dem so wäre, bliebe die Entwicklung besorgniserregend. Denn verschiedene Faktoren machen Cybermobbing mitunter problematischer als Mobbing, das vor Ort in der Schule passiert. Dazu gehören die Allgegenwart und Dauerhaftigkeit der Inhalte. Beleidigungen oder demütigende Bilder verfolgen die Opfer über die Schultore hinaus und hören auch im privaten Alltag nicht auf. Sind sie einmal online und werden geteilt und weiterverbreitet, sind sie kaum mehr zu löschen und können auch nach Monaten oder Jahren in anderen Kontexten wieder auftauchen. Dadurch erreichen sie potenziell auch ein viel größeres Publikum. Außerdem bleiben die Täter:innen öfter anonym. Diese beiden Aspekte, die Öffentlichkeit und die Anonymität, erhöhen laut Schultze-Krumbholz den Verletzungsgrad bei den Opfern. Die Demütigung potenziert sich, je mehr Menschen davon mitbekommen, und dadurch, dass die Opfer oft nicht wissen, von wem die Beleidigungen stammen, ziehen sich sozial zurück.

Ein weiterer Aspekt ist das fehlende emotionale Feedback der betroffenen Personen an die Täter:innen. Durch die räumliche und zeitliche Trennung bekommen Täter:innen weniger mit, was ihre Aktionen bei den Opfern auslösen. Dadurch kommt es auch vor, dass Täter:innen sogar aus Unwissen, Gedankenlosigkeit und ohne Absicht Opfern Schaden zufügen. Ganz sicher senkt es aber die Hemmschwelle bei Täter:innen, die tatsächlich eine Schädigungsabsicht haben. Und auch den unbeteiligten Dritten, den sogenannten „bystanders“, kommt beim Cybermobbing eine andere Rolle zu. Sie können sich entweder nicht einmischen, oder die Täter:innen unterstützen, oder aber die Opfer verteidigen oder trösten. Auch bei ihnen kommt das fehlende emotionale Feedback der Opfer zu tragen. Vor allem aber nehmen sie beim Cybermobbing oft eine aktivere Rolle ein, indem sie Inhalte liken und teilen. Auch hierfür ist die Hemmschwelle im digitalen Raum geringer.

Gibt es Pandemie-spezifische Faktoren?

Cybermobbing dringe im Home Schooling noch stärker ins Private ein, gab Heike Kühl-Frese vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) bei ihrem Grußwort zur Konferenz am 13. Februar 2021 zu bedenken. Auch, weil die täglichen Videokonferenzen nun oft der einzige Kontakt für Schülerinnen und Schüler mit der Klassengemeinschaft sind. Mobbing ist ein gruppendynamischer Prozess und das Klassenklima beeinflusst laut Schultze-Krumbholz das individuelle Verhalten. Gibt es, wie möglicherweise jetzt im Distanzunterricht, weniger positive Interaktionen innerhalb dieser Gemeinschaft, so sinkt bei potenziellen Opfern die Resilienz. Bei Bystanders wiederum sinkt die Bereitschaft, Opfern beizustehen, und steigt die Bereitschaft, Täter:innen zu unterstützen.

Auf fehlende Resilienz ging auch Kühl-Frese in ihrem Grußwort ein. Ohnehin seien viele Kinder und Jugendlichen gerade stark psychisch belastet. Laut der der zweiten Befragung der sogenannten Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) zeigt ein knappes Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland fast jedes dritte Kind psychische Auffälligkeiten. Dies hat nicht nur das Potenzial, dass sich Cybermobbing-Vorfälle auf Opfer stärker auswirken. Laut Schultze-Krumbholz gibt es beim Cybermobbing eine große Überschneidung zwischen Täter:innen und Opfern, also Schüler:innen, die sowohl Täter:innen, als auch Opfer sind. Und Täter:innen haben als Motiv oft weniger die Demonstration der eigenen Macht nach außen, sondern eher persönliche Gründe wie die eigene Unzufriedenheit und Langeweile. Auch hier könnte die Pandemiesituation negative Effekte haben, also sowohl auf Risiko-, als auch auf Schutzfaktoren.

Unterricht per Videokonferenz ermöglicht indes auch neue Arten des Cybermobbings. In einem Gastbeitrag in der Zeit berichtete die Lehrerin Karin Bomke kürzlich: „So hat in meinem Unterricht ein Schüler, den ich nicht sofort erkennen konnte, einen Mitschüler stummgeschaltet – wiederholt immer denselben.“ Weiter schrieb sie: „Manche Jugendliche schneiden zum Beispiel Videostunden mit und stellen unvorteilhafte Aufnahmen eines Kindes oder einer Lehrerin in den sozialen Netzwerken zur Schau.“ Visuelle Formen des Cybermobbings, also Bilder und Videos, werden von Opfern, so Schultz-Krumbholz, als besonders schlimm empfunden. Denn Bild- und Videoinhalten kann schwer widersprochen werden. Sie scheinen das eigene, vermeintliche Fehlverhalten zu „beweisen“, sie „schaffen Fakten“.

Und schließlich ist es im Unterricht auf Distanz schwieriger für Lehrkräfte, Cybermobbing zu erkennen. „Denn“, so Karin Bomke, „als Lehrerin spüre ich nicht sofort, wenn ich den digitalen Raum betrete, welches Klima in der Klasse herrscht, welche Schülerin oder welcher Schüler sich aggressiv oder ausgrenzend verhält.“ Und auch Cybermobbing gegen Lehrkräfte ist ein Thema – eines, das laut Schultz-Krumbholz bisher unterforscht ist.

Was tun?

Gegen Cybermobbing helfen zum Beispiel Maßnahmen, die in der Klassengemeinschaft Empathie und Perspektivübernahme anregen. Verschiedene Tipps für Präventions- und Interventionsmaßnahmen sind in diesem Artikel angeführt.

Lehrerin Karin Bomke stellt an ihre Kolleg:innen in ihrem Zeit-Artikel fünf Forderungen für den Umgang mit Cybermobbing in der Coronazeit: „mit Schüler:innen Regeln für Videokonferenzen aufstellen und durchsetzen“; „mit Schüler:innen in Kontakt bleiben und Distanz abbauen“; „disziplinarische Maßnahmen ergreifen, wenn Cybermobbing passier“t; und „Videokonferenzen technisch beherrschen“. Oft hat etwa die Lehrkraft in einer Videokonferenz den Chat nicht ausreichend im Blick und übersieht, dass dort Mobbing geschieht. Ein routinierter Umgang mit dem Video-Tool erlaubt es der Lehrkraft auch, bestimmte Funktionen wie Andere stummzuschalten oder aus der Besprechung zu entfernen für Schüler:innen zu blockieren.

Medienkompetenzen fördern

Schulen in ganz Deutschland stehen vor der Herausforderung des digitalen Wandels. Ebenso wie die Förderung sprachlicher, sozialer und naturwissenschaftlicher Fähigkeiten gehört es in der digitalisierten Gesellschaft zu den schulischen Aufgaben, die Medienkompetenz der Schüler:nnen zu stärken. Denn in einer durch Digitalisierung geprägten Welt stellt die Medienkompetenz von Schüler:innen eine wichtige Schlüsselqualifikation dar. Das Programm bildung.digital unterstützt Schulen dabei, Konzepte der digitalen Bildung zu entwickeln und Medienkonzepte als Teil des Schulentwicklungsprozesses für eine Systematisierung der Medienkompetenzförderung zu erstellen und umzusetzen. 

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) setzt sich in allen Programmen für diskriminierungsfreie Medien ein: von einer leichten Sprache und diskriminierungssensiblen Ansprache über barrierefreie Online-Angebote und moderierte Online-Räume bis zu einem entsprechenden Umgang mit den beteiligten Zielgruppen.