14.11.2016 · Aktuelles

Begegnung, Teilhabe, Strahlkraft

© dkjs/ P. Chiussi

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Auf dem Podium v.l.n.r.: Dunja Hayali, Moderatorin; Sonja Brogiato, Flüchtlingsrat Leipzig; Mohammed Ahmadi, Champions ohne Grenzen; Andreas Luthe, In safe hands e.V.; Patrick Gasser, UEFA; Dr. Hubertus Hess-Grunewald, Präsident Werder Bremen Im Publikum: Staatsministerin Aydan Özoğuz, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration

Seit 2015 hat sich viel getan bei der Integration geflüchteter Menschen in Deutschland – auch durch und über den Fußball. Was hat es auf sich mit der sprichwörtlichen Integrationskraft dieses Sports? Wo stehen die Vereine? Und was brauchen sie, um ihr Potential noch besser nutzbar zu machen? Das Programm „Willkommen im Fußball“ lud dazu am 8. November 2016 zu einer Podiumsdiskussion in die Berliner Kalkscheune ein. Raum für Fragen und Antworten – und eine Zwischenbilanz.

Multiethnische Mannschaften, Angehörige verschiedener Kulturen und Religionen, die sich gemeinsam für das gleiche Ziel einsetzen – „Auf dem Platz funktioniert das! Warum?“, eröffnet Moderatorin Dunja Hayali das Gespräch. Sie nennt Fußball eine „universelle Sprache“. Die gleichen Regeln weltweit, Begeisterung über alle Altersschichten und soziale Gräben hinweg, „das an sich ist schon integrativ“, stellt Aydan Özoğuz, die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, fest. Wenn Ärzte Fußball auf Rezept verschreiben könnten, sie würden es wohl tun. „Geflüchtete laufen Gefahr, in Depression zu versinken“, sagt Sonja Brogiato, Sprecherin des Flüchtlingsrats Leipzig. „Fachärztlicher Rat lautet in diesem Fall: Viel Bewegung an der frischen Luft, und eine Tagesstruktur, die Halt gibt.“ Beides bietet der Fußball. Beim Kicken die eigenen Sorgen und Nöte vergessen, und Freundschaften und Kontakte knüpfen, die oft weit über die gemeinsame Zeit auf dem Platz hinausreichen. Mohammed Ahmadi von CHAMPIONS ohne GRENZEN e.V. hat diese Erfahrung selbst gemacht. Vor fünf Jahren kam er aus Afghanistan nach Deutschland, heute ist er selbst Trainer. Seine blauen Augen leuchten auf, als er sagt: „Das macht mir solchen Spaß, dass ich meine Sorgen vergesse. Stattdessen denke ich über die Probleme der Kinder nach, die ich trainiere – und das ist cool.“

Dass Fußball in Sachen Integration vieles erleichtern und bewegen kann, darin sind sich alle einig. Aber wie genau geht das vonstatten? Und was hat sich getan in den letzten beiden Jahren? Aydan Özoğuz, die gemeinsam mit der Bundesliga-Stiftung das Programm Willkommen im Fußball initiiert hat, betont: „Das ist vor Ort entstanden, das war gelebt. Die Vereine kamen auf uns zu und sagten: ‚Bei uns sind da ein paar Jungs aufgetaucht – wir machen da mal was.’“ Dieses Engagement wollte die Bundesbeauftragte strukturieren und verstetigen. Das scheint zu funktionieren: Allein im Rahmen von Willkommen im Fußball sind seit 2015 bereits 21 Bündnisse bundesweit entstanden. Dabei tun sich jeweils ein Club der Bundesliga oder 2. Bundesliga mit Amateurvereinen und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft zusammen, um sich gemeinsam für gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten einzusetzen – mit ausdrücklich niedrigschwelligen, vom Aufenthaltsstatus unabhängigen Angeboten. Offene Trainingseinheiten mit anschließendem Deutschkurs im Stadion sind nur ein Beispiel für die vielen Formen, die Vereine finden, um Fußball mit Qualifizierungs- und Vernetzungsangeboten zu kombinieren und spielerisch Türen in die Mehrheitsgesellschaft zu öffnen. Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung übernimmt die Gesamtsteuerung und Qualifizierung dieser Partner und Aktivitäten. Heike Kahl, Geschäftsführerin der DKJS ist sich sicher: „Was da auf Vereinsebene passiert, ist nicht trivial.“

Profifußball hat Strahlkraft
Zu Bundesligaspielen sitzen bis zu 17 Millionen Menschen vor den Bildschirmen. Andreas Luthe, Torwart beim FC Augsburg und Gründer von In Safe Hands e.V. wünscht sich von seinen Spielerkollegen „mehr Eigeninitiative“, um diese PS auch auf die Straße zu bringen. Luthe hat, damals noch beim VfL Bochum, „einfach angefangen“, indem er kurzerhand ein Training für Geflüchtete anbot. Dieses Angebot gibt es nun auch bei seinem neuen Verein in Augsburg. Projekte wie Willkommen im Fußball findet Luthe ideal geeignet, um Profispieler aufzuwecken: „Viele meiner Kollegen leben in einer Scheinwelt. Wir als Profifußballer haben viel öffentliche Aufmerksamkeit – die sollten wir nutzen!“

Mehr Mädchen einbeziehen
Das Potential ist groß und doch könnte es noch effektiver genutzt werden. Mädchen und Frauen besser zu erreichen und einzubinden ist ein Ziel, über das sich alle einig sind. Der Bedarf sei da, betont Sonja Brogiato: „Je länger die da sind, desto ausgeprägter wird bei ihnen der Wunsch, Fußball zu spielen oder einen naturwissenschaftlichen Beruf zu ergreifen. Also Freiräume zu nutzen, die sie in ihren Herkunftsländern nicht hätten.“ Noch ist dieses Thema allerorten eine Baustelle. Dr. Hubertus Hess-Grunewald, Präsident des SV Werder Bremen, räumt ein: „Da haben wir noch echte Defizite“. Er erzählt von den Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gibt. Wie schafft man zum Beispiel geschützte Räume, wo Frauen und Mädchen trainieren können, ungestört von männlichen Blicken? In Bremen gehe man erste Schritte diesbezüglich derzeit auf Seitenpfaden: So habe etwa die Frauen-Handballmannschaft zum gemeinsamen Kochen eingeladen – um erst einmal Vertrauen zu schaffen. „Das ist eine zarte Pflanze auf einem riesengroßen, weiten Feld.“

Eine Sache läuft bei Werder richtig gut: Die Bindung zwischen Bürgern der Stadt und dem Verein. Das soziale Engagement des Clubs ist groß und steht auch in wirtschaftlich harten Zeiten nie in Frage. CSR-Programme wie „Werder bewegt lebenslang“ sind Teil des Markenkerns geworden. „Wenn es eine Stadt gibt, die wirklich pleite ist, dann ist das Bremen. Wir wollen etwas zurückgeben und uns unserer sozialen Verantwortung stellen“ betont Hess-Grunewald.“