20.06.2023 · Aktuelles

Ankommen und teilhaben: zum Weltflüchtlingstag 2023

© dkjs/ C. Paulussen

Durch den Jahresbericht des Flüchtlingshilfswerks UNHCR wurde in der vergangenen Woche bekannt, dass aktuell 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht sind und damit so viele wie noch nie. Es sind 19 Millionen mehr als im vergangenen Jahr, die gewaltsam zur Flucht gedrängt wurden, vor allem aus Ländern wie Syrien, der Ukraine und Afghanistan. Etwa 42% von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Sie befinden sich in einer besonders vulnerablen Lebenssituation und brauchen vor Ort in ihrem Sozialraum Sicherheit, Schutz und gute Start- und Bildungschancen.

Integration vor Ort

Integration durch Bildung kann nur mit starken Sozialräumen und Bildungslandschaften gelingen, deren Akteur:innen auch untereinander gut über die Bedarfe der ankommenden Kinder und Jugendlichen informiert und vernetzt sind. Für eine krisenfeste wie zukunftsfähige Weiterentwicklung des Bildungssystems sind gut aufgestellte die Kommunen unverzichtbar. Bei der DKJS begleiten und unterstützen wir Kommunen auf diesem Weg in diversen Programmen auf vielfältige Art und Weise.

Unser Einsatz für starke Kommunen

Wir fördern Kinder- und Jugendbeteiligungsprojekte im Rahmen des Zukunftspaketes und ermöglichen damit auch Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung Beteiligung. In Rostock, Münster, Gotha und an vielen anderen Orten ermöglichen wir dadurch wichtige auf Integration und Gemeinschaft setzende Projekte mit jungen Geflüchteten.

In Programmen wie fit nach vorn setzen wir konkrete Angebote für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung in Kooperation mit lokalen Trägern und Kommunen um. So berichteten wir über den fit nach vorn-Cup Anfang des Monats, bei dem junge Geflüchtete in Berlin zusammenkamen, um sich sportlich zu messen, sich auszutauschen sowie sich beruflich zu orientieren und ihre Kompetenzen zu erweitern. Auf der Programmseite werden nützliche Lernvideos, Handlungsempfehlungen und Erfahrungsberichte bereitgestellt.

Wir qualifizieren und begleiten pädagogische Einrichtungen, die mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen arbeiten, zum Beispiel im Programm Vielfalt entfalten. Auch der Podcast unserer WillkommensKitas in Sachsen greift praxisnah Themen wie Familienkulturen, herausforderndes Verhalten, Mehrsprachigkeit und religiöse Vielfalt für den Kita-Alltag auf. In den Berliner Ferienschulen bringen wir geflüchtete Kinder und Jugendliche zur Sprachförderung in Verbindung mit gemeinsamen Freizeitaktivitäten zusammen und eröffnen ihnen dadurch neue Bildungs- und Teilhabechancen.

Insbesondere aber unterstützten wir die Kommunalverwaltungen durch Vernetzung, fachlichen Austausch sowie den Transfer von erfahrungsbasiertem Wissen und Beispielen guter Praxis in Programmen wie Transferagentur für Großstädte. Daraus entstand zuletzt auch das Themenpapier „Gestärkt in die Zukunft - Wie (Bildungs)Verwaltung handlungsfähig bleibt“.

Kommune stärken – 3 Fragen an DKJS-Experten Markus Lindner

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und schwerer Konflikte in anderen Teilen der Welt sehen wir nicht nur in den Medien, sondern auch in den Kommunen vor Ort: Die Verwaltungen müssen handlungsfähig sein und schnelle Lösungen zur Versorgung der Ankommenden finden. Wir haben unseren Experten zum Handlungsfeld Kommune, Markus Lindner, gefragt:

Wie können Kommunen resilienter mit diesen Herausforderungen umgehen? 

In der Kommune wird der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungs- sowie Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen besonders sichtbar. Durch gute Bildungssteuerung kann die Kommune eine bedarfsorientierte und qualitativ hochwertige Bildung organisieren, um so Ungleichheit entgegenzuwirken und Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Um geflüchteten Kindern und ihren Familien ein gutes Ankommen nachhaltig zu sichern, müssen sich Kommunen mit langfristigen Perspektiven auseinandersetzen. Dabei sollten sie Fragen in den Blick nehmen, die auch die Regelstrukturen adressieren: Wie viele Menschen werden über einen längeren Zeitraum bleiben oder in Deutschland ihre neue Heimat finden? Was brauchen sie, neben der Erstversorgung, damit dies gelingen kann, insbesondere im Bereich Sprachbildung? Wie kommen die Menschen in den Regelsystemen – allen voran im Bildungs- und Betreuungssystem – an?

Welche Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten haben Kommunen bei der Etablierung von Teilhabestrukturen für geflüchtete Kinder und Jugendliche?

Teilhabe und Beteiligung ist für geflüchtete Kinder und Jugendliche ein grundlegendes Element, um ihre Stärken zu entdecken und sich mit dem Gemeinwesen zu identifizieren. Sie haben ein Recht auf Beteiligung – genauso wie alle anderen Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland leben. Auf kommunaler Ebene können dafür Strukturen geschaffen werden, um die Integration, Inklusion und damit die Teilhabemöglichkeiten von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu fördern. Das Spektrum reicht von Bildungs- und Freizeitangeboten über soziale Unterstützung, beispielsweise in Form von Beratungsangeboten und Mentoring-Programmen, bis hin zum aktiven Einbinden in Planungs- und Entscheidungsprozesse. Damit das gelingt, ist es wichtig, Netzwerke und Kooperationen mit den Akteur:innen der lokalen Bildungslandschaft wie Schulen, Bildungseinrichtungen, Freizeitorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und anderen relevanten Institutionen aufzubauen. Durch die gezielte Zusammenarbeit können Wissen und Ressourcen gebündelt werden, um die Beteiligungsmöglichkeiten für geflüchtete Kinder und Jugendliche zu verbessern und nachhaltig zu verankern. 

Frage 3: Welche Praxisbeispiele kennen wir z.B. durch gelungene Kooperation aller beteiligten Akteur:innen?

Wenn ich an unser Programm „Transferagentur für Großstädte“ denke, zeigt das Stuttgarter Projekt „Neuzugewanderte in Ausbildung“ beispielhaft, wie die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteur:innen gelingen kann. Das Projekt wurde 2019 von der Stadt auf den Weg gebracht, um für neuzugewanderte Auszubildene die Chance auf einen Abschluss zu erhöhen. Hier steht der Spracherwerb als tragende Säule im Mittelpunkt und umfasst drei Stufen: eine Sprachstandserhebung bei allen Auszubildenden ohne deutschen Schulabschluss oder Sprachzertifikat auf Level B2, das Organisieren von Sprachkursen in den teilnehmenden Berufsschulen sowie die Begleitung durch sogenannte Ausbildungsmanager:innen. Die enge Abstimmung zwischen Bildungsverwaltung, Berufsschulen, Jobcenter, Sprachkursanbietern, Betrieben und Auszubildenden ist ausschlaggebend für den Erfolg. Hierbei spielen die Ausbildungsmanager:innen eine zentrale Rolle: sie koordinieren die Zusammenarbeit und handeln insbesondere die zusätzliche Schulzeit für die Auszubildenen mit den Betrieben aus.

Auch im Bremer Stadtteil Gröpelingen setzen die Akteur:innen auf Kooperation und Zusammenarbeit im Bildungsbereich. In dem typischen „Ankunftsquartier“, das durch Zuwanderer aus mehr als 120 Nationen geprägt ist, haben sich die Bildungseinrichtungen zusammen mit der Kommune das Ziel gesetzt, die Qualität ihrer Kooperationen weiterzuentwickeln, um den Stadtteil und die Integration voranzubringen. Entstanden ist ein einzigartiges lokales Bildungsnetzwerk, in dem die Erwachsenenbildung, kulturelle Bildung, Kitas und Schulen, aber auch Stadtteilmanagement, soziale Stadtentwicklung und regionale Ausbildungsbetriebe eng zusammenarbeiten und ihre Angebote kreativ und strukturiert aufeinander abstimmen.

Wir sehen aber auch in vielen anderen Großstädten und Landkreisen zahlreiche Beispiele dafür, wie Kommunen schnell, pragmatisch und in Kooperation mit vielen Akteuren und Ehrenamtlichen vor Ort angepackt und Unterstützungsangebote entwickelt haben.

Es bleibt ein langer Weg. Doch Bildung ist Motor für nachhaltige Integration. Darum müssen wir Kommunen bei der Gestaltung ihrer Bildungslandschaft dauerhaft unterstützen.