04.07.2017 · Aktuelles

Ankommen in der Normalität

© dkjs/B. Bernat

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„Willkommen im Fußball“ bringt Proficlubs, Amateurvereine und soziale Träger zusammen, um jungen Geflüchteten beim Ankommen in Deutschland zu helfen. Im Sommer 2015 ging das Programm an den Start – zwei Jahre später ist Zeit für eine Bilanz. In der Sportschule des Landessportbundes Berlin fand der große „Willkommen im Fußball“-Cup statt. Zum Auftaktgespräch mit Staatsministerin Özoguz am 30. Juni kamen Ehrenamtliche, Geflüchtete und Bündnispartner zusammen.

Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz ist guter Dinge. Willkommen im Fußball war eines ihrer ersten Projekte im Amt, und die Sache läuft rund. Zwei Drittel aller deutschen Profifußballclubs engagieren sich mittlerweile im Programm. Özoğuz erinnert sich: „2014 zeichnete sich ab, dass immer mehr Flüchtlinge kamen, und ich wurde von ganz vielen Vereinen angesprochen. Es gab eine unglaubliche Bereitschaft, etwas zu tun, im eigenen Umfeld.“ Gemeinsam mit der DFL Stiftung entstand damals die Idee für ein breites Bündnis: durch offene Trainingsangebote für junge Geflüchtete Anknüpfungspunkte in der Gesellschaft zu schaffen. Mittlerweile engagieren sich bundesweit fast 100 Organisationen im Rahmen von Willkommen im Fußball in 24 Bündnissen. Insgesamt 65 Trainingseinheiten jede Woche setzen die Bündnisse um und erreichen damit wöchentlich rund 800 junge Geflüchtete. Sie sind zwischen vier und 30 Jahre alt und stammen vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. In einigen Bündnissen trainieren sie auch mit einheimischen Jugendlichen gemeinsam. Die Besonderheit des Programms: Fußball ist nur der Anfang – der Sport dient als Ankerpunkt für weitere unterstützende Bildungs- und Integrationsangebote.

„Es war Zeit, ein deutliches Zeichen für eine offene Gesellschaft zu setzen“, erzählt Haider Hassan, Leitung Strategie und Projekte der DFL-Stiftung. Er erinnert sich: „Von Anfang an war klar: Es reicht nicht, einen Ball aufs Spielfeld zu legen und zu sagen: ‚Spielt mal los!". Deshalb sei die DFL Stiftung „sehr glücklich“ gewesen, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung als Kooperationspartner zu gewinnen. „Projekte machen ist das eine“, sagte Hassan, „aber die Qualität zu sichern ist das andere. Die DKJS hat in dieser Hinsicht eine hohe Professionalität, das hilft uns sehr.“

Frank Hinte, Prokurist der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, findet vor allem „die Offenheit und das Kooperationsverständnis“ der beteiligten Partner bemerkenswert. „Dass die Partner so schnell ins Handeln gekommen sind, das war keine Selbstverständlichkeit.“ Denn potentielle Fallstricke gab es viele: Profi-Fußballclubs, der Struktur nach große Unternehmen, mussten von heute auf morgen mit ehrenamtlichen Helfern und sozialen Einrichtungen zusammenarbeiten. Trainer hatten es plötzlich mit Gruppen zu tun, auf die sie nicht eingestellt waren. Wie geht man damit um, wenn Teilnehmer unregelmäßig kommen, kein Deutsch sprechen, unter Traumata leiden? Herausforderungen gab es haufenweise, und es wurden ebenso viele Lösungen gefunden. Ein Beispiel: Das von der DKJS entwickelte Trainerhandbuch. Mittlerweile sind rund 100 Geflüchtete in den Bündnissen selbst als Ehrenamtliche aktiv. Als Übungsleiter, Co-Trainer oder Sprachmittler bringen sie ihre Kompetenzen ein und geben weiter, was sie selbst an Unterstützung bekommen haben. Auch das hilft beim Wurzeln schlagen.

Über den Sport Teil der Gesellschaft werden

Denn – das wird sehr deutlich in diesem Gespräch – „Willkommen“, das war gestern. Frank Hinte reflektiert: „Heute geht es vielmehr darum: Wie können wir das Bleiben ermöglichen? Wie lassen sich Wege in Ausbildung und Beruf finden? Das Beste, was diese Bündnisse leisten können ist dabei zu helfen, über Schule und Beruf Teil unserer Gesellschaft zu werden.“ Engagiert meldet sich die Staatsministerin zu Wort: „Wir sehen das mittlerweile zehntausendfach: Etwas gemeinsam tun, das verbindet. Aber, und das muss man auch ganz deutlich sagen: Sport kann viel, aber er kann eben nicht alles.“

Mansur Faqiryar, ehemaliger afghanischer Nationaltorhüter, nimmt den Ball auf: „Fußball kann vielleicht nicht alles, aber: Was der Fußball leistet, kann kaum ein anderer leisten. Ich hatte durch Fußball eine Anbindung an die deutsche Gesellschaft. Was es bei uns zu Hause nicht gab, das habe ich im Verein kennengelernt. Das Vereinssystem in Deutschland ist wirklich einmalig, das ist ein Geschenk!“

Khalid Sharo spielt im Bündnis-Spandau und in der 4. Liga von Hertha. „Die Trainer haben mir sehr geholfen“, erzählt der 23-Jährige Syrer. „Mit dem Fußball natürlich vor allem, aber auch, wenn es um Ärzte oder Behörden ging.“ Sharos Frau lebt noch in Syrien. Seit über einem Jahr wartet er darauf, sie nachholen zu dürfen. „Ich sorge mich sehr um sie, ich kann mich kaum konzentrieren auf irgendetwas“, sagt er. „Wenn sie nicht kommen darf, dann gehe ich zurück, um auf sie aufzupassen.“ Die Betroffenheit im Raum ist deutlich zu spüren. Dies ist nur eine von vielen Situationen, wo selbst das beste Bündnis nicht weiterhelfen kann.

Normalität schaffen

„Sport kann nicht alles“, wiederholt die Integrationsbeauftragte. “Die Politik muss mitziehen“, sagt sie, und setzt hinzu: „Immerhin, ein großer Schwenk ist schon geschafft. Mittlerweile haben wir in Deutschland besser als früher verstanden: Wenn Menschen erst einmal hier sind, dann werden sie wahrscheinlich auch länger bleiben. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben sich auszubilden, zu arbeiten und für sich selbst zu sorgen. Das Besondere an Willkommen im Fußball ist, dass über den Fußball so viele Bildungs- und Ausbildungsangebote gemacht werden. Da muss die Politik jetzt mitgehen.“

Es wird deutlich: Nach zwei Jahren Programmlaufzeit gilt es, aus dem Ausnahmezustand des „Willkommen“ herauszufinden. „Es geht darum, Normalität zu schaffen“, betont Aydan Özoğuz. „Ich hoffe, dass viele Menschen, die heute ‚Flüchtlinge’ heißen, morgen einfach Nachbarn, Torwarte, Bäcker und Ärzte sind.“

Im Anschluss an die Gesprächsrunde geht es auf den Platz: Die Bündnisse aus Bielefeld, Spandau und Hamburg wärmen sich gerade für den „Willkommens-Cup“ auf, der an den beiden folgenden Tagen stattfinden wird. Iba Hussein, 19 Jahre alt, hat gerade Pause, er steht am Spielfeldrand und schaut zu. Der junge Äthiopier spielt seit sechs Monaten im Nürnberger Bündnis. In Berlin ist er zum ersten Mal. „Super“, findet er, „vor allem die Reichstagskuppel.“ Er hat heute noch viel vor: Er nimmt an einem Übungsleiter-Training teil, und abends wird es in der „Wabe“ im Prenzlauer Berg eine Party für die Spieler geben.

Auch das Programm Willkommen im Fußball hat sich einiges vorgenommen. Die Förderung für das Jahr 2018 ist bewilligt, und der veränderte Bedarf erfordert neue Schwerpunkte: Wege in den Beruf. Unterstützung beim Ehrenamt. Und: mehr Angebote für Mädchen, denn die profitieren von den Bündnissen bisher noch wenig. Auch das darf noch ein Stück normaler werden.