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Kinderrechte jetzt umsetzen

Kinderrechte gehören endlich ins Grundgesetz. Peggy Eckert, DKJS-Expertin für Demokratiebildung, erklärt, warum das so dringend ist.

20.11.2024

Je nach Bundesland unterscheiden sich die gesetzlichen Regelungen für Kinder- und Jugendbeteiligung und weisen noch einige Lücken auf. Die Kinderrechte im Grundgesetz sind die beste Basis für eine starke Kinder- und Jugendbeteiligung und gerechte Teilhabechancen.

 

Kinderrechte ins Grundgesetz

 

Am 20. November erinnert der Internationale Tag der Kinderrechte an die vor 35 Jahren verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention. Der Tag soll das Bewusstsein für die Rechte junger Menschen stärken und die Bedeutung von Schutz, Bildung, Mitbestimmung und gesundheitlicher Versorgung für Kinder betonen und mahnen, diese Rechte auch einzuhalten und umzusetzen.

Jedoch sind nach wie vor im deutschen Grundgesetz Kinderrechte nicht verankert, weder der Vorrang des Kindeswohls noch der Grundsatz, dass Kinder als gleichberechtigte Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft, als eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde und dem Anspruch auf Anerkennung ihrer Individualität anzuerkennen sind.

 

Demokratisches Handeln muss frühzeitig erlernbar sein

 

Dabei sind Kinder und Jugendliche Träger:innen aller Grundrechte und gleichzeitig besonders schutzbedürftig. Sie sind darauf angewiesen, dass Erwachsene ihre Rechte achten – und zwar nicht nur im Alltag, sondern auch bei politischen Entscheidungen. Wenn wir Kinder und Jugendliche stärken und ihnen ermöglichen, ihre Ideen einzubringen und ihre Lebenswelt aktiv zu gestalten, übernehmen sie Verantwortung für die Gesellschaft, in der sie leben wollen. Und sie werden resilient gegenüber Populisten. Im aktuellen Koalitionsvertrag war die Absicht enthalten, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern – umgesetzt wurde dieses Vorhaben bisher leider nicht.

Gemäß Artikel 12 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder und Jugendliche das Recht, an Entscheidungen beteiligt zu werden, die sie betreffen. Dieses Recht ist einklagbar, und alle staatlichen Instanzen, einschließlich Behörden, Gerichte und Gesetzgeber, sind verpflichtet, es zu gewährleisten. Je nach Bundesland unterscheiden sich die gesetzlichen Regelungen für Kinder- und Jugendbeteiligung und weisen noch einige Lücken auf. Ziel sollte es sein, auch gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um junge Menschen an allen sie betreffenden Entscheidungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu beteiligen. Die Kinderrechte im Grundgesetz sind die beste Basis für eine starke Kinder- und Jugendbeteiligung und gerechte Teilhabechancen.

„Kinder und Jugendliche fühlen sich nicht ernst genommen und gehört. Das muss sich dringend ändern.”

Peggy Eckert

Kindheitswissenschaftlerin und DKJS-Expertin für Demokratiebildung

Porträtfoto
Interview mit Peggy Eckert, Kindheitswissenschaftlerin und DKJS-Expertin für Demokratiebildung

 

Frau Eckert, ein Ergebnis der aktuellen Shell Jugendstudie besagt, dass 75 Prozent der Jugendlichen eher oder sehr zufrieden mit der Demokratie sind. Das politische Engagement hat im Vergleich zur Vorstudie zugenommen, und 51 Prozent der jungen Menschen informieren sich aktiv über Politik. Das liest sich doch gut – wo sind Probleme?

Peggy Eckert: Zunächst: Ob und wie Kinder und Jugendliche sich informieren können, hängt nach wie vor entscheidend von der sozialen Herkunft ab. Junge Menschen, die in schwierigen Lagen aufwachsen, haben signifikant weniger Zugang zu Bildung, auch zu politischer.

An den Landtagswahlen sehen wir einen enormen Zuwachs bei der AfD bei Jung- und Erstwählern, aber fast ein Drittel wählt eher links und ökologisch; insgesamt sind zwei Drittel der Jugendliche für Demokratie. Aber: 44 Prozent der Jugendlichen haben eine autoritär geprägte Haltung, so ein Ergebnis der Shell Jugendstudie. Besonders Männer, Ostdeutsche, Jugendliche mit geringer Bildung sowie junge Menschen ohne deutschen Pass sind der Ansicht: „Eine starke Hand müsste mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen.”

Junge Menschen fühlen sich von den etablierten Parteien nicht angesprochen. Die individuellen und heterogenen Lebenswelten junger Menschen finden in den Wahlprogrammen dieser Parteien kaum Berücksichtigung. Kinder und Jugendliche fühlen sich nicht ernst genommen und gehört. Das muss sich dringend ändern.

Auch Frustrationserfahrungen seit Corona und Zukunftsängste spielen eine große Rolle. Mit diesem Frust und Ängsten spielen die Rechten und nutzen dabei die sozialen Medien, hier ist die AfD so erfolgreich wie keine andere Partei.

 

Was muss nun passieren, damit alle Kinder und Jugendlichen befähigt sind, fundierte Entscheidungen zu treffen und auf der Basis unsere Demokratie mitzugestalten?

Peggy Eckert: Es müssen Maßnahmen auf allen Ebenen erfolgen: in Politik und in Schule.

  • Es braucht flächendeckend politische Bildung
    Junge Menschen müssen intensiver auf Wahlen vorbereitet werden. Sie brauchen Wissen zu Institutionen und demokratischen Prozessen. Die Forderung zur Herabsetzung des Wahlalters muss mit Angeboten der politischen Bildung verbunden werden.
  • Leitungs- und Fachkräfte in Kitas und Schule brauchen mehr Impulse, Austausch- und Qualifikationsformate
    Bildungseinrichtungen müssen gestärkt werden als Orte demokratischer Bildung. Es braucht Handlungssicherheit und -mut zu Themen wie dem Beutelsbacher Konsens sowie klare Positionierungen gegen Demokratiefeindlichkeit.
  • Demokratiekompetenzen und Werte müssen frühzeitig vermittelt und gestärkt werden.
    Schon ab der frühen Bildung gilt es, Werte, ein weltoffenes Menschen- und Gesellschaftsbild sowie Kompetenzen wie z. B. Empathie, Meinungsbildung und Solidarität mit Kindern zu entwickeln und zu stärken.
  • Zivilgesellschaftliche Strukturen insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern müssen gestärkt werden, indem zum Beispiel Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft neue Bündnisse eingehen.
  • Mehr Fokus auf das Erlernen des demokratischen Verfahrens
    Insgesamt brauchen Kinder und Jugendliche auf allen genannten Ebenen viel mehr Möglichkeiten, demokratie-relevante Kompetenzen zu erlangen – analog wie digital, etwa Aushandlungsfähigkeiten, Kompromissfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Ambiguitätstoleranz sowie sozial-emotionale Kompetenzen.

 

Forderungen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung zur Demokratieförderung

 

Unsere Demokratie steckt in einer Krise. Um dieser zu begegnen, braucht es gute Politik für alle jungen Menschen, die ihre Anliegen ernst nimmt und gesellschaftliche Teilhabe für alle ermöglicht  ̶   insbesondere diejenigen, die in Risikolagen aufwachsen.

Gute Demokratiebildung und Kinder- und Jugendbeteiligung müssen auf allen Ebenen verankert, gefördert und gesichert werden. Wir als Deutsche Kinder- und Jugendstiftung fordern die Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen jetzt umzusetzen:

 

  1. Kinderrechte gehören endlich ins Grundgesetz.
  2. Der Nationale Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung (NAP) muss trotz Ampel-Aus verabschiedet werden und darauf abzielen, Beteiligung strukturell und auf allen Ebenen zu verankern sowie Barrieren zu senken.
  3. Das Demokratiefördergesetz muss kommen, und Institutionen müssen als Orte des Demokratielernens und -lebens gestärkt werden.
  4. Gute Kinder und Jugendarbeit ist nicht verhandelbar und muss über den Bundeshaushalt langfristig gesichert sein.