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„Ich will etwas zurückgeben.“

In den Workshops des Qualifizierungsangebots „fit für verantwortung" lernen junge Menschen mit Fluchterfahrung ein Sporttraining anzuleiten und eigene Ideen für ein Engagement im Sportbereich zu entwickeln – eine Reportage.

27.09.2024

Kristina Simons

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Mit unserem Qualifizierungsangebot fit für verantwortung unterstützen wir junge Menschen mit Fluchterfahrung dabei, zum Role Model zu werden. In insgesamt drei Workshops lernen sie unter anderem, ein Sporttraining anzuleiten und eigene Ideen für ein Engagement im Sportbereich zu entwickeln.

Ein Samstag im August. Die Sonne knallt auf den Sportplatz des Safe-Hub Wedding, einem Sport- und Bildungscampus für Kinder aus dem Kiez. Die Teilnehmenden des Qualifizierungsangebots fit für
verantwortung der DKJS hüpfen auf einem Bein um die Wette, um am Ende der etwa zehn Meter langen Strecke ein Trainingsleibchen aufzuheben und an anderer Stelle wieder abzulegen. Es wird viel gelacht, wenn das Hüpfen zum Stolpern wird oder das Leibchen an der falschen Stelle landet. Es geht um Koordination bei dieser insgesamt etwa 20-minütigen Trainingseinheit, das einbeinige Hüpfen ist nur eine von mehreren Übungen. Ausgedacht haben sie sich drei Teilnehmende des fit für verantwortung-Workshops. Die DKJS unterstützt damit 15 junge Geflüchtete zwischen 18 und Anfang 30, im Sportbereich zu Vorbildern zu werden, ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen und sich dabei auch persönlich weiterzuentwickeln. Diesmal sind drei weibliche und zwölf männliche Teilnehmende dabei. Sie haben aufgrund ihrer Geschichte ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht. Heute leben die jungen Menschen in Bad Freienwalde, Bonn, Bremen, Dortmund, Hoppegarten, Rostock und Stuttgart, gehen noch zur Schule, machen eine Ausbildung oder arbeiten bereits.

 

fit nach vorn weitergedacht

 

fit für verantwortung ist ein Zusatzmodul des DKJS-Programms fit nach vorn, in dem junge Menschen mit Fluchterfahrung wichtige Fähigkeiten wie Teamwork, Durchhaltevermögen oder den Umgang mit Niederlagen auf besonders integrative und motivierende Art lernen: durch die Verknüpfung von Sport, Bildungs- und Beratungsangeboten. Vor Ort sind bundesweit 15 fit nach vorn-Bündnisse aktiv. In ihnen haben sich Sportvereine, soziale Träger oder kommunale Stellen zusammengeschlossen. Die DKJS begleitet und fördert sie. „Da viele junge Geflüchtete selbst aktiv werden und sich innerhalb oder außerhalb der Bündnisse ehrenamtlich engagieren möchten, haben wir bei der DKJS zusätzlich fit für verantwortung ins Leben gerufen“, erläutert Programmmitarbeiter Jan Welle, der zusammen mit Leonie Sontowski die Workshopreihe organisiert. Innerhalb mehrerer Monate nehmen die jungen Frauen und Männer an insgesamt drei mehrtägigen Workshops in Berlin teil und lernen unter anderem, wie man ein Sport-Training anleitet. Zurück an ihren Wohnorten, erhalten sie Unterstützung von Mentor:innen aus den fit nach vorn-Bündnissen. Diese Mentor:innen werden im September bei einem eigenen Workshop in Berlin von der DKJS geschult.

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„Wie eine Familie“

 

Vom 6. bis 9. Juni fand der erste fit für verantwortung-Workshop statt, hier hat sich die aktuelle Gruppe
kennengelernt. In den drei Tagen ging es vor allem um die Stärken, Interessen und Wünsche der Teilnehmenden. „Sie haben sich viel über die Bedeutung von gesellschaftlicher Teilhabe, über ihre Erfahrungen mit Rassismus und das Ankommen in Deutschland ausgetauscht“, berichtet Welle. „Außerdem haben sie schon konkrete Ziele für ein Engagement im Sportbereich entwickelt.“ Ganz praktisch wurde es dann beim zweistündigen Boxtraining mit zwei Trainer:innen des Vereins Boxgirls. Nun, beim zweiten Workshop vom 8. bis 11. August, liegt der Fokus darauf, wie man ein Sport- bzw. im konkreten Fall ein Fußball-Training anleitet. „Hier unterstützen uns die Trainer:innen Hava, Monir, Nada und Mahmoud von CHAMPIONS ohne GRENZEN“, berichtet Welle. Der Berliner Verein setzt sich mithilfe leicht zugänglicher Fußball- und Sportangebote für eine nachhaltige Willkommenskultur für Geflüchtete in Deutschland ein. „Hava zum Beispiel war selbst mal Teilnehmerin bei „Willkommen im Fußball“ – dem Vorläuferprogramm von fit nach vorn, sagt Welle. „Eine echte Erfolgsgeschichte also.“ Am Donnerstag sind alle angereist, am Freitag ging es dann vor allem um die theoretischen Grundlagen eines Trainings, um Tipps, Tricks und erste Übungen.

Heute, am Samstag, steht die praktische Umsetzung auf dem Programm. Jeweils drei Teilnehmende schlüpfen in die Trainer:innenrolle, überlegen sich, welchen Schwerpunkt sie setzen und wie sie die Übungen aufbauen wollen. Mal geht es ums Dribbeln, dann um den Torschuss, mal darum, möglichst lange am Ball zu bleiben. Im Anschluss stellen sich alle in der Mitte des Platzes im Kreis auf und die drei in der Trainer:innenrolle, die Teilnehmenden sowie die vier Trainer:innen Hava, Monir, Nada und Mahmoud geben Feedback zur Übungseinheit. Das ist auch schon mal kritisch, aber immer konstruktiv.

Einige aus der Gruppe spielen schon seit Kindertagen Fußball, andere haben kaum Erfahrung. Doch hier auf dem Platz ist das egal. Teamgeist prägt die Gruppe. Der Ton ist immer freundlich, verständnisvoll und motivierend. „Es fühlt sich an, als würden wir uns alle schon lange kennen, wie eine Familie“, sagt der 20-jährige Dildar. Er ist 2018 mit seiner Familie aus dem Irak nach Dortmund gekommen und liebt Sport, vor allem Fußball „Das ist gut für den Körper, man lernt neue Leute kennen und spielt immer im Team. Außerdem hat mir das sehr dabei geholfen, Deutsch zu lernen und in der deutschen Gesellschaft anzukommen.“ In Dortmund spielt Dildar unter anderem im Fußballverein von Adam’s Corner, einem fit nach vorn-Bündnispartner, der geflüchtete Jugendliche fördert. „Ich bin dort schon gefragt worden, ob ich einmal in der Woche als Trainer tätig sein könnte. Aber wegen meiner Ausbildung zum staatlich anerkannten Sport- und Gymnastiklehrer klappt das leider nicht.“ Mit dem Abschluss hat Dildar dann zugleich Fachabitur. „Immer, wenn ich Zeit habe, helfe ich allerdings im Verein aus.“ Auch bei der Nordstadtliga Dortmund, einem sozialen Fußballprojekt für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, ist Dildar seit zwei Jahren ehrenamtlich als Schiedsrichter und Betreuer tätig. „Ich will mich auf jeden Fall weiter ehrenamtlich im Sportbereich engagieren und am liebsten Kinder im Fußball trainieren. Dadurch kann ich mich selbst weiterentwickeln und anderen dabei helfen, sich weiterzuentwickeln.“ Das Qualifizierungsangebot der DKJS helfe ihm sehr dabei. „Ich habe hier schon so viel gelernt, zum Beispiel auch, vor einer Gruppe zu reden.“

 

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Verantwortung übernehmen und sich weiterentwickeln

 

Auch für die 24-jährige Heva, die 2015 mit ihrer Familie aus Syrien geflüchtet ist und nun in Bonn lebt, ist die Workshopreihe ein Glücksfall. „Als Mädchen hatte ich bislang gar nichts mit Fußball zu tun. Das ist eine tolle Chance, das Spiel wirklich kennenzulernen und auch zu verstehen, warum es in Deutschland eine so große Rolle spielt.“ Erst habe sie sich geschämt, weil sie im Unterschied zu den meisten anderen noch nicht so gut sei. „In der Schule war das immer ein Problem, aber hier in der Gruppe helfen sich alle gegenseitig und motivieren sich.“ Ihre Leidenschaft gilt dem Wandern. „Am Fußball gefällt mir aber, dass man im Team spielt.“ Beim Sport finde sie Ruhe und komme besser mit negativen Gedanken klar. „Ich habe viele Familienmitglieder im Krieg verloren, einige sind noch in Syrien. Da mache ich mir oft Sorgen und fühle mich so hilflos.“ Durch die Workshops und auch durch die Geschichten der anderen lerne sie sich selbst besser kennen, entwickele sie ihre Persönlichkeit weiter. „Ich lerne Offenheit gegenüber anderen Menschen und auch, Kritik nicht persönlich zu nehmen.“ In Deutschland hat Heva schon viel ehrenamtlich mit Kindern gearbeitet. „Das will ich auf
jeden Fall weiterhin tun, auch wenn ich nächstes Jahr meine Ausbildung im Bereich Büromanagement beginne.“ Als Fußballtrainerin sei sie vielleicht nicht die richtige. „Aber Tennis spiele ich wirklich gut.“ Es sei eine motivierende Erfahrung, Verantwortung zu haben und das eigene Wissen und Können an andere weiterzugeben.

Das empfindet auch der 23-jährige Omar so. „Verantwortung zu übernehmen, macht mir Freude und fällt mir leicht“, sagt er. 2016 ist Omar aus Syrien geflohen und lebt seitdem in Stuttgart. Dort hat er 2023 Abitur gemacht und sich dann ein Jahr Zeit genommen, um herauszufinden, was er beruflich machen will. Währenddessen hat er sich sehr viel ehrenamtlich engagiert, vor allem im Support Group Network (SNG). „Das ist eine internationale Organisation von Geflüchteten für Geflüchtete mit vielen Unterstützungsangeboten.“ Im Rahmen des EU-Projekts Your Voice Matters des SNG hat Omar eine Fortbildung zur aktiven Teilnahme in Demokratie und Gesellschaft gemacht. „Nun bin ich in einem Projekt zum Community Empowerment sogar einer der Gruppenleiter“, berichtet er stolz. „Da lernen Jugendliche alles, was sie brauchen, um ein Projekt zu starten, also zum Beispiel Finanzwissen oder wie man Aufmerksamkeit erreicht. Es geht aber auch um die eigene Persönlichkeitsentwicklung.“ Er wolle zum Multiplikator für Ehrenamtliche werden. „Mir wurde ja auch geholfen, in Deutschland anzukommen und die Sprache zu lernen. Ich will gerne etwas zurückgeben. Außerdem mag ich es sehr, mit Menschen zusammenzuarbeiten und mit ihnen zu kommunizieren.“

Inzwischen weiß Omar, wie es für ihn weitergeht: Er wird im Herbst am Karlsruher Institut für Technik (KIT) ein Wirtschaftsingenieur-Studium beginnen. „Die Zulassung hatte ich schon und auf der Zugfahrt nach Berlin habe ich auch meine Immatrikulation bekommen“, sagt er und strahlt übers ganze Gesicht. Dass er weiterhin ehrenamtlich aktiv sein wird, ist für ihn klar. Zum Beispiel als Fußball- oder auch Fitnesstrainer. Erste Erfahrungen als Co-Trainer einer Fußballmannschaft hat er bereits gesammelt. „Die fit für verantwortung-Workshops helfen mir, noch mehr zu lernen, andere Perspektiven kennenzulernen. Trainer zu sein, ist doch etwas ganz anderes, als Fußball zu spielen.“

Inzwischen ist es 16 Uhr und der Workshoptag neigt sich langsam dem Ende zu. Trainer Mahmoud gibt den Teilnehmenden noch wichtige Informationen zu Qualifizierungsmöglichkeiten und den verschiedenen Trainerlizenzen. Und dann spielen Teilnehmende, Trainer:innen und die beiden Workshoporganisator:innen zum Abschluss alle zusammen Fußball. Am nächsten Tag ist Abreise und alle sind wieder in ganz Deutschland verteilt. Doch zum dritten und letzten Workshop vom 10. bis 13. Oktober treffen sich alle erneut hier in Berlin.

fit nach vorn ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, der Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus. Die fit für verantwortung-Workshops werden von der Soziallotterie aidFIVE gefördert