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Ein Großstadtnetzwerk für Bildung

09.07.2025

Was macht nachhaltige Programmarbeit aus? Das Großstadtnetzwerk für Bildung liefert eine eindrucksvolle Antwort: Aus einem geförderten Format der Transferagentur für Großstädte (TAG) ist eine selbstorganisierte, professionelle Struktur entstanden, die bundesweit Fachkräfte aus dem kommunalen Bildungsmanagement vernetzt – und das über das Programmende hinaus.

 

Von der ersten Idee zur etablierten Struktur

 

Die TAG – ein DKJS-Programm gefördert durch das damalige Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der „Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement“ – hat zwischen 2014 und 2024 bundesweit Großstädte mit über 250.000 Einwohner:innen dabei begleitet, ihre kommunalen Bildungslandschaften auf- und auszubauen und ein datengestütztes Bildungsmanagement weiterzuentwickeln.

Ende 2015 etablierte die TAG das Großstadtnetzwerk als zentrales Instrument für den Transfer von Erfahrungen, Wissen und Modellen. Personen, die in den Verwaltungen der Großstädte zu Bildungsthemen arbeiten (z. B. in Bildungsbüros, Schul- und Jugendämtern), trafen sich regelmäßig in unterschiedlichen Großstädten.

Das Erfolgsrezept war von Anfang an die Kombination aus fachlichem Input, kollegialer Beratung und interkommunalem Austausch. In „Entwicklungsräumen“ erhielten die Kommunen durch den direkten Austausch mit anderen Städten konkrete Handlungsimpulse für ihre jeweilige Situation. Die gastgebende Kommune spielte dabei immer eine besondere Rolle, da es auch darum ging, gute Praxis vor Ort sichtbar zu machen. Ergänzt wurden die Netzwerktreffen durch Einblicke in die kommunale Bildungslandschaft – etwa in Form von „Stadtteilspaziergängen“ zu interessanten Bildungsorten.

Durch die Förderung im Rahmen der Transferinitiative bestand die Möglichkeit, die Veranstaltungen sowohl organisatorisch als auch inhaltlich-konzeptionell umzusetzen. Dabei entwickelte sich das Großstadtnetzwerk schnell zu dem zentralen Format in der Beratung und Begleitung der Großstädte.

 

Wachsende Resonanz und inhaltliche Vertiefung

 

Die Resonanz war beeindruckend: Das erste Großstadtnetzwerk fand 2015 in München statt, bis Ende 2023 folgten 37 weitere Treffen – davon 25 in Präsenz und 13 online – mit insgesamt über 1.000 Teilnahmen. Ursprünglich für drei Schwerpunktthemen geplant, entstanden schnell sechs dezentrale Fachgruppen, da der Bedarf an thematischen Austauschformaten deutlich größer war als erwartet.

 

Der Moment der Entscheidung

 

Als Mitte 2023 feststand, dass das Programm TAG nicht fortgeführt werden würde, war das für die beteiligten Kommunen ein Schock. „Wir müssen ehrlich sagen, dass wir als Kommunen den Moment wahrscheinlich ein bisschen verschlafen haben, als klar wurde, dass es mit der TAG nicht mehr weitergeht“, erinnert sich Christina Luchmann vom Dezernat für Schule, Jugend und Familie der Stadt Dortmund.

Daraufhin entwickelten die Kommunen selbst die Rahmenbedingungen für eine Fortsetzung. „Für uns war klar, dass wir das Großstadtnetzwerk brauchen“, erklärt Monika Ripperger, Leiterin Stabsstelle Pädagogische Grundsatzplanung der Stadt Frankfurt am Main. „Da es keine Option gab, dass es in der Form wie bekannt und geliebt weitergeführt werden kann, haben wir einfach beschlossen, dass wir es so weiterführen.“

In begleitenden letzten Workshops mit der TAG wurde ein erster Grundstein für das neue Großstadtnetzwerk gelegt, erinnert sich Monika Ripperger: „Wie kann es gehen? Was brauchen wir? Welche Tools könnten wir nutzen? Welche Inhalte könnte das selbstorganisierte Großstadtnetzwerk haben? Da ging es auch darum, ein Gefühl dafür zu bekommen: Ist das überhaupt realistisch?“

 

Die Resolution an das BMBF

 

Im Februar 2024 unterzeichneten 12 Städte des Großstadtnetzwerks eine gemeinsame Resolution an das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Darin forderten sie die Fortsetzung der finanziellen Förderung des Großstadtnetzwerks Bildungsmanagement und appellierten eindringlich: „Wir, die Unterzeichner:innen dieses Appells, brauchen auch in der Zukunft diese Plattform für den immens wichtigen Wissens- und Knowhow-Transfer auf Ebene der Großstädte.“

Die Resolution verwies auf die besondere Rolle der Großstädte bei der Verbesserung von Bildungschancen und argumentierte, dass es um Ermöglichung von Teilhabe und Chancengerechtigkeit gehe. Mit dem Wegfall der TAG gehe das Spezifikum Großstädte mit den besonderen Herausforderungen und Bedarfen – insbesondere im Themenfeld der Bildungsungleichheiten – verloren. Der Appell blieb erfolglos – was die Städte umso mehr in ihrer Entscheidung zur Selbstorganisation bestärkte.

 

Warum das Netzwerk unverzichtbar ist

 

Die Motivation zur Verstetigung speist sich aus der besonderen Situation der Großstädte. „Das Besondere ist einfach, dass die Situation in Großstädten eine andere ist, als die in kleinen Kommunen“, beschreibt Christina Luchmann den Kern. Es gehe um vergleichbare Herausforderungen in Bezug auf Sozialstruktur, Verwaltungsstrukturen und die Vielzahl von Akteuren. „Und natürlich ist es auch attraktiv, in einem Netzwerk zu sein, wo wir uns selbst zu Inhalten verabreden können. Also nicht nur verabreden können, sondern auch selbst sagen: Worauf schauen wir denn gerade? Wo drückt überall der Schuh? Wo haben wir Ansätze?“

Für Monika Ripperger kommt ein weiterer Aspekt hinzu: die Sichtbarkeit. „Vielfach werden wir mit dem, was wir an Kompetenzen haben, was wir als Kommune leisten, nicht wahrgenommen von den Bundesländern. Und das ist verrückt. Da sind ganz viele verschenkte Chancen und Ressourcen, die nicht genutzt werden.“ Das Netzwerk biete Wertschätzung von außen und schaffe dadurch auch innerhalb der Verwaltung Anerkennung für die Bildungsarbeit.

 

Selbstorganisation und Professionalisierung

 

Das verstetigte „Großstadtnetzwerk für Bildung“ hat sich beeindruckend professionalisiert. Frankfurt und Wiesbaden machten 2024 den Anfang und teilten sich die Aufgaben: Frankfurt organisierte das Präsenztreffen, Wiesbaden übernahm die digitalen Stammtische.

Wichtige Prinzipien wurden von Beginn an festgelegt: Alle Beteiligten sind „Teilgeber:innen“, nicht nur Teilnehmer:innen – alle tragen etwas bei. Bei Präsenzveranstaltungen ist immer auch die Wissenschaft eingebunden. Der „Staffelstab“ wird jährlich weitergegeben, die Planungen erfolgen jeweils zwei Jahre im Voraus.

Das Netzwerk entwickelte eine eigene Wort-Bild-Marke, die Vielfalt und Wachstum symbolisiert. 2025 trafen sich bereits 35 Kolleginnen und Kollegen aus 13 Städten für zwei Tage in Augsburg, um sich über aktuelle Bildungsthemen auszutauschen – mit eigener visueller Identität und professioneller Organisation.

 

Konkrete Wirkungen und aktueller Mehrwert

 

Bereits während der TAG-Zeit zeigten sich messbare Erfolge der Netzwerkarbeit: Kommunen entwickelten standardisierte Kooperationsvereinbarungen zwischen Ämtern zur Weitergabe von Daten, Jugend- und Schulämter gestalteten ihre Zusammenarbeit so verbindlich, dass gemeinsame Produkte entstanden. Andere Städte wurden bei der Neuausrichtung ihrer Gremienstrukturen unterstützt.

Das verstetigte Netzwerk knüpft an diese Erfolge an und entwickelt sie weiter. Die aktuellen Themen bleiben hochrelevant: Das Netzwerk diskutiert intensiv die Rolle von Kommunen beim Startchancenprogramm, Qualitäten des Ganztags oder innovative Ansätze zur Elternbeteiligung.

„Es lohnt sich, diese Zeit zu investieren“, erklärt Monika Ripperger: „Es gehen, glaube ich, alle immer reicher raus, als sie reingegangen sind. Und es ist auch so, dass wir uns nicht nur in diesen vereinbarten Zeiten treffen, sondern dass es auch bilaterale Austausche gibt.“

Gerade dieser bilaterale Austausch im Großstadtnetzwerk, der über die formellen Treffen hinausgeht, ist vielfach besonders wertvoll. Frankfurt beispielsweise kooperiert mit Dresden und Leipzig bei einem Forschungsprojekt zu steigenden Zahlen im Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“. Dortmund und Frankfurt tauschen sich zu integrierter Standortentwicklung aus.

 

Finanzierung ohne externe Förderung

 

Das Netzwerk finanziert sich vollständig aus kommunalen Mitteln der jeweils federführenden Städte – der größte Kostenfaktor sind Raumbuchungen für Präsenzveranstaltungen.

 

Politische Wirkung und gemeinsame Stimme

 

Das Netzwerk entwickelt auch eine politische Dimension. In Augsburg entstand die Idee einer „Augsburger Erklärung“ als gemeinsames Positionspapier. „Wir sind kein politisches Gremium, ich würde eher sagen, wir sind ein fachliches Gremium“, betont Monika Ripperger. „Es geht aber auch darum, gesehen und gehört zu werden mit dem, was wir zu bieten haben. Die Großstädte sind häufig als erstes mit bestimmten Problemlagen konfrontiert, die sich zeigen. Dadurch sind wir auch relativ nah an den Lösungen. Und das wollen wir natürlich nicht für uns behalten, sondern damit auch Einfluss nehmen auf fachliche und politische Entscheidungsprozesse, wo es möglich ist.“

Ein konkretes Beispiel: Beim Startchancenprogramm stellten alle Städte fest, dass der Bund eine Mitwirkung der Kommunen empfiehlt, die Länder die Kommunen aber nur zum Teil einbinden, obwohl bei den Kommunen das lokale Wissen liegt. „Das hat uns schon auch schockiert“, so Monika Ripperger. „Das kriegt man natürlich nur raus, wenn man sich trifft und darüber auch austauscht.“

 

Ausblick: Vom Experiment zur Institution

 

Für die Zukunft denken die Beteiligten an weitere Professionalisierung. Als Vorbild dient unter anderem das Großstadtnetzwerk „Gesunde-Städte-Netzwerk“, das seit 36 Jahren aktiv ist und eine feste Rechtsform entwickelt hat. Christina Luchmann aus Dortmund sieht das Netzwerk in fünf Jahren „etwas professionalisierter als das, was wir gerade ausprobieren. Dass wir nicht nur als Plan festgelegt haben, wer das als nächstes übernimmt, sondern uns auch darüber ausgetauscht haben, wie sich das fester etablieren könnte. Vielleicht auch in einer Vereinsform. Vielleicht auch wirklich mit bestimmten Finanzen. Das könnte ich mir für das Großstadtnetzwerk auf jeden Fall vorstellen.“

Dabei soll die bewährte Selbstorganisation zunächst beibehalten werden. „Erstmal machen wir Erfahrungen mit der Selbstorganisation“, so Monika Ripperger. „Es braucht jemanden, der das Feuer hütet. Und da gibt es im Großstadtnetzwerk schon auch ein paar Städte, die da näher dran sind.“

 

Ein Beleg für nachhaltige Transferarbeit

 

Das verstetigte Großstadtnetzwerk ist mehr als nur die Fortsetzung eines erfolgreichen Formats – es ist der Beleg dafür, dass aus gezielter Transferarbeit dauerhafte, selbsttragende Strukturen entstehen können. Die Tatsache, dass sich Kommunen nach Programmende eigenständig organisieren, das Netzwerk weiterentwickeln und sogar professionalisieren, zeigt: Hier wurde nicht nur ein temporäres Projekt umgesetzt, sondern eine nachhaltige Infrastruktur für den interkommunalen Austausch geschaffen.

„Ich finde es beachtlich, dass wir so gut aufsetzen können auf dem, was vorher passiert ist“, resümiert Monika Ripperger. „Also so sollen wir ja alle Projekte organisieren, dass es nachhaltig ist und dass man Unabhängigkeit schafft. Und das ist total gut gelungen.“

 

Die Grenzen der Selbstorganisation

 

So beeindruckend die Verstetigung des Großstadtnetzwerks auch ist – sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass externe Unterstützung durch ihre Qualität und Professionalität unersetzlich bleibt. „Das, was die TAG für den interkommunalen Austausch und Zusammenarbeit geleistet hat, wird sich aus der kommunalen Ebene heraus nicht ohne weiteres und nicht 1:1 kompensieren lassen”, formulierten die Städte bereits 2024 in ihrer Resolution an das BMBF.

Was die TAG damals leistete – die Identifizierung bildungspolitischer Trends, umfassende Expertise zu allen Netzwerk-Städten, Kenntnis des aktuellen Forschungsstands und einen reichen Instrumentenkoffer für gemeinsame Bearbeitung – können die kommunalen Bildungsmanager:innen und -monitorer:innen nicht nebenbei stemmen.

Das Großstadtnetzwerk für Bildung beweist: Nachhaltige Programmwirkung ist möglich. Aber es zeigt auch: Je professioneller die externe Begleitung, desto nachhaltiger und wirkungsvoller wird das Ergebnis. Die Selbstorganisation der Städte ist ein Erfolg der TAG-Arbeit – nicht ihr Ersatz. Gerade in Zeiten wachsender bildungspolitischer Herausforderungen brauchen Kommunen als zentrale Akteure für Bildungsgerechtigkeit verlässliche finanzielle Unterstützung, um ihre erweiterte Verantwortung für gelingende Bildungsbiografien erfolgreich wahrnehmen zu können.

Die Transferagentur für Großstädte (TAG) der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung unterstützte von 2014 bis 2024 Großstädte mit über 250.000 Einwohner:innen beim Aufbau eines datengestützten kommunalen Bildungsmanagements (DKBM). Sie war Teil der „Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement“ und wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

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