11.03.2022 · Aktuelles

Kinder und der Krieg

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Prof. Dr. Judith Mangelsdorf

Judith Mangelsdorf ist seit 2021 Professorin für Positive Psychologie an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport. Sie ist Studiengangsleiterin für den Masterstudiengang Positiver Psychologie und Coaching. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf menschlichem Wachstum nach einschneidenden Lebensereignissen. Im Zentrum steht die Frage danach, wann es Menschen gelingt, gestärkt aus traumatischen Erlebnissen hervorzugehen. Wir fragten sie, in welchem Setting man mit Kindern über Krieg sprechen sollte, worauf pädagogische Fachkräfte im Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen achten müssen und was es braucht, um besser mit Krisen umzugehen.

Welchen Rahmen braucht eine Auseinandersetzung oder das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen über Krieg?

Krieg ist für viele Erwachsene der Inbegriff des Schlimmsten, was uns als Menschen passieren kann. Für viele Kinder, ist es schlicht unvorstellbar, was Krieg wirklich bedeutet. Deshalb sollten Gespräche, die nicht von den Kindern selbst initiiert sind, immer in einem wirklich geschützten und sicheren Rahmen mit genug Zeit realisiert werden. Auch sollten wir uns als Eltern und Pädagogen vorher klar machen, was wir in diesem Gespräch vermitteln wollen und was wir außen vorlassen, um Kinder nicht zu überfordern. Ganz wichtig ist dabei der Grundsatz: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das heißt, Kinder haben zum Teil andere Kommunikationsbedürfnisse, die sich stärker darum drehen, die Welt zu verstehen und verstehbar zu machen, als informiert zu bleiben. Achten Sie auch darauf, wann und was Sie in Anwesenheit Ihres Kindes besprechen. Schaffen Sie also einen Rahmen, der ihrem Kind ermöglicht, seine eigenen Fragen zu formulieren und gemeinsam mit genug Zeit Antworten zu finden.

Wie kann ich als Fachkraft oder Elternteil auffangen, was das Gespräch bei den Kindern auslöst?

Die Bedrohung durch Krieg löst in Kindern und Erwachsenen gleichermaßen vor allem ein Gefühl von tiefer Verunsicherung aus. Die Bedrohung durch Krieg kann unsere fundamentalen Grundannahmen über die Welt und unser Wertesystem erschüttern. Dazu gehören beispielsweise die Überzeugungen, dass diese Welt ein sicherer Ort ist, mich niemand einfach plötzlich angreift, oder dass mein Zuhause ein sicherer Ort ist. Es stellen sich also schnell auch bei Kindern existentielle Fragen, wie: „Was ist, wenn bei uns plötzlich die Panzer vor der Tür stehen?“. Nehmen Sie diese Fragen ernst und tun Sie sie nicht als Unsinn ab. Besprechen Sie sowohl die Unwahrscheinlichkeit dessen, dass so etwas passiert, als auch einen konkreten Plan, wie Sie mit dieser Situation umgehen würden. Grundsätzlich gilt: Was besprechbar ist, kann besser verarbeitet werden. Vermeiden Sie dabei aber, das Thema größer zu machen, als es für ihr Kind gerade ist. Es ist nicht Ziel Ihr Kind ausführlich zu informieren über den Kriegsverlauf, sondern seine Fragen ehrlich zu beantworten. Oft reichen authentische konkrete Antworten auf die gestellten Fragen aus, um Kinder zu beruhigen. Jenseits dessen, ist es auch hilfreich, die Kinder zu befähigen selbst wirksam zu werden. Also beispielsweise einen Beitrag zu leisten durch das Spenden von eigenem Spielzeug oder Kleidung, um deutlich zu machen; auch du kannst einen Unterschied machen.   

Wir leben in einer Zeit der Krisen. Klimawandel, Corona… Was brauchen Menschen, um mit Krisen umzugehen und welche Unterstützungsstrukturen? Wo muss das im Bildungswesen langfristig verankert werden?

Nichts trägt so sehr durch Krisen wie stabile Beziehungen. Freunde, zu denen der Kontakt bleibt, Eltern, die präsent sind. Lehrkräfte, die sich Zeit nehmen, für das, was die Kinder jetzt beschäftigt. Das Bildungswesen braucht hier ein klares Umdenken weg davon, dass Pädagog:innen primär, wenn nicht ausschließlich dafür da sind Lehrstoff zu vermitteln. Vielmehr müssen Lehrkräfte dazu befähigt werden, Kindern und Jugendlichen auch menschlich Ansprechpartner und Gegenüber zu sein. Noch nie war die mentale Gesundheit von Kindern so stark gefährdet wie gerade jetzt. Diesem Umstand muss auch das Bildungssystem durch gezielte und breiter aufgestellte Begleitangebote Rechnung tragen.  

Was muss ich als Fachkraft beachten in der Arbeit mit Kindern, die gerade aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind?

Besonders diese Kinder kommen oft mit akuten Erfahrungen von Verlust, einer tiefen Erschütterung des eigenen Sicherheitsbedürfnisses und Angst zu uns. Nicht selten bangen die Kinder um ihre Väter, denen die Flucht nicht erlaubt war. Das aller grundlegendste Bedürfnis, um das es sich jetzt zu kümmern gilt, ist Sicherheit und Vertrauen. Sie können viel schon allein dadurch tun, dass sie verlässlich Ansprechpartner sind, sich offen und interessiert zeigen und stabil da sind. Auch sollten Sie die Möglichkeit für Gespräche zum Thema geben. Schwierig werden traumatisch Erfahrungen vor allem dann, wenn sie nicht kommunizierbar sind und damit zum nicht ansprechbaren Tabu werden.

Zum Schluss noch ein zentraler Gedanke: Auch im Kontext von Krieg brauchen Kinder die Möglichkeit, Kinder zu bleiben, die Welt zu entdecken, zu spielen und Freundschaften zu schließen. Wenn wir den geflüchteten Kindern dies ermöglichen, ermöglichen wir Leben.